Meist bleiben sie unsichtbar – obwohl sie durch ihr Handeln und ihre Nachfrage den Markt für Ausbeutung, Gewalt und den Handel mit Frauen erst schaffen: Die Freier. Bei einer Fachtagung des Aktionsbündnisses gegen Frauenhandel in Kooperation mit dem Osteuropa-Hilfswerk Renovabis und der Hanns-Seidel-Stiftung in Rosenheim wurden ihre Rolle und ihre Verantwortung in den Mittelpunkt gerückt. Rund 100 Teilnehmer diskutierten mit Expertinnen und Experten von Politik, Wissenschaft, Polizei und Fachberatungsstellen über die aktuellen Entwicklungen im Bereich Prostitution und über die Freier-Szene.
„Es ist sehr schwierig, verlässliche Aussagen über Freier zu treffen“, betonte Dr. Udo Gerheim von der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg zu Beginn seines Vortrags. Der Sozialwissenschaftler hatte sich in einer viel beachteten Studie mit dem Thema „Freier“ beschäftigt. So konnte Gerheim in seiner Arbeit zwar verschiedene Freier-Typen, verschiedene Motivationen und Einstellungen ausfindig machen, aber es fehle noch an einer weiterführenden Forschung, um diese Ergebnisse nun wirklich fruchtbar zu machen. Ein nüchternes Fazit zur Datenlage zog auch der Jurist Joachim Renzikowski von der Universität Halle-Wittenberg. Er machte deutlich: „Wir wissen so gut wie gar nichts“. Weder gebe es wirklich verlässliche Angaben zur Zahl der Prostituierten in Deutschland noch zur Zahl der Freier.
Die Grenze zwischen „freiwilliger“ Prostitution sowie Menschenhandel und Zwangsprostitution ist fließend. Einig waren sich die Teilnehmenden darin, dass das Bundeslagebild des Bundeskriminalamts (BKA) zum Bereich Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung aus dem Jahr 2015 lediglich einen Bruchteil des Phänomens erfasse. Es beginnt zwar mit dem vielversprechenden Hinweis, dass die Anzahl der Ermittlungsverfahren, mit 364 Verfahren bundesweit, erneut rückläufig ist, aber das Problem mit den Zahlen brachte der Polizeipsychologe Adolf Gallwitz auf den Punkt: Solange die Statistik niedrig sei, werde es auch keine neuen Stellen bei der Polizei geben und solange es dort keine zusätzlichen Stellen gebe, bleibe auch die Statistik in diesem Bereich niedrig, weil die Kapazitäten für mehr Kontrollen und Ermittlungen schlicht nicht gegeben seien.
Auch Gerhard Wallner von der Polizei in Rosenheim machte klar, dass die Kriminalpolizeiinspektion in Rosenheim mit rund 100 Beamten in zehn Kommissariaten sich aus organisatorischen und zeitlichen Gründen nur im „Nebenamt“ um die rund 20 Prostitutionseinrichtungen im Stadtgebiet kümmere. „Wir können uns die Kontrollen nicht aus den Rippen schneiden“, verdeutlichte Wallner die personelle Problematik. Dabei sei, das musste auch die Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer eingestehen, Rosenheim aufgrund seiner Lage zwischen München, Salzburg und Innsbruck für das Prostitutionsgewerbe durchaus attraktiv. Man versuche zwar Einfluss zu nehmen, aber dies sei in den meisten Fällen nur über das Baurecht möglich.
Freierbestrafung: Ja oder Nein? Kontrovers diskutiert wurden bzgl. dieser Fragen mögliche Lösungsansätze. Während sich Johnny Nesslinger, Gründer eines Männervereins für Geschlechtersensibilität in Österreich, klar für eine Freierbestrafung, wie in den nordischen Ländern oder Frankreich, aussprach, hielt Christine Nagl, Mitglied der Arbeitsgruppe „Prostitution“ in Österreich, diesen Schritt eher für schädlich. Nesslinger betonte, dass durch die Legalisierung von Prostitution auch die Grundlagen für den Menschenhandel und die Ausbeutung geschaffen werden, wohingegen Nagl mit Sorge auf die Frauen blickte, die von Ausbeutung betroffen sind, denn sie würden bei einem Verbot der Prostitution nur noch tiefer in die Illegalität und in den Untergrund getrieben. Es zeichnete sich ab, dass eine Einigung oder ein Kompromiss dieser Positionen alles andere als einfach ist. Auch hier sei die Datenlage eher mangelhaft und alles andere als eindeutig, sagte Ute Eiling-Hütig, die Vorsitzende der AG Frauen der CSU-Landtagsfraktion. „Es ist einfach nicht klar, was die Konsequenzen einer Freierbestrafung wirklich sind.“ Die Politik sei hier auch stark auf die Einschätzungen von Experten und Expertinnen angewiesen, die die Opfer betreuen. Wünschenswert wären auch mehr gute sozialwissenschaftliche Forschungsarbeiten in diesem Feld, um die Folgen besser abschätzen zu können. Bessere, sensiblere und menschlichere Aufklärung
Größere Einigkeit herrschte beim Thema Aufklärung. Die zunehmende Sexualisierung der Gesellschaft, auch die zunehmende Sichtbarkeit von Prostitution, hätten Folgen für die Fremd- und Selbstwahrnehmung von jungen Frauen und Männern. Der Polizeipsychologe Gallwitz führte zahlreiche Beispiele aus der Werbung an, die nicht etwa subtil, sondern ganz offen immer wieder die Verbindung zu Sexualität und auch zu einem zweifelhaften Frauenbild herstellten. „Wir brauchen hier nicht eine bessere technische Aufklärung für Jugendliche“, betonte Soni Unterreithmeier von SOLWODI, „sondern eine menschlichere Aufklärung.“ Es müsse darum gehen, junge Frauen und Männer in ihrem Selbstbewusstsein zu stärken, damit diese ein mangelndes Selbstbewusstsein nicht mit der Herabsetzung des anderen Geschlechts kompensieren. Große Einigkeit herrschte auch darin, dass es wichtig sei, dass Thema weiter in die Öffentlichkeit zu bringen und mehr Männer dazu zu bewegen, sich gegen Frauenhandel zu engagieren. Monika Cissek-Evans von der Fachberatungsstelle JADWIGA führte mit Blick auf die Freier an, dass es seit der Fußballweltmeisterschaft 2006 in Deutschland keine Sensibilisierungskampagne gegen Frauenhandel mehr gab. Dieses grundlegende Anliegen betonten auch Renovabis-Geschäftsführer Burkhard Haneke und die Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung Prof. Ursula Männle. Das Thema Menschen- und Frauenhandel müsse breiter diskutiert werden. Der Skandal, der tagtäglich direkt vor unserer Haustüre passiere, dürfe nicht einfach übergangen werden.
Von Simon Korbella, Renovabis