„Gerechtigkeit kennt keine Grenzen. Gemeinsam gegen Menschenhandel von Bayern bis Europa“ - Fachtagung 2024

Menschenhandel ist in den meisten Fällen kein regional begrenztes oder nationales, sondern ein grenzüberschreitendes Verbrechen, das nur durch enge nationale und internationale Zusammenarbeit erfolgreich bekämpft werden kann. Umso wichtiger ist deshalb das Zusammenspiel der verschiedenen staatlichen sowie zivilgesellschaftlichen Akteure im Kampf gegen Menschenhandel und die Verzahnung der verschiedenen Ebenen. Bei der diesjährigen Fachtagung in München nahm das Aktionsbündnis gegen Frauenhandel in Kooperation mit der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) und dem Osteuropa-Hilfswerk Renovabis den grenzüberschreitenden Kampf gegen Menschenhandel in den Blick.

„Die Würde der Frau ist unantastbar!“, betonte die stellvertretende Vorsitzende der HSS Susanne Breit-Kessler in Ihrem Grußwort zu Veranstaltung und führte weiter aus: „Das grundlegende Verbrechen des Menschenhandels besteht darin, dass dem Menschen sein mit Würde und Selbstbestimmtheit ausgestatteter Status als Person entzogen wird. Er wird zu einem Gegenstand, einer Ware degradiert, die einen Preis hat, der sich aus Angebot und Nachfrage ergibt; und die nach Belieben verwendet werden kann. Menschenhandel ist daher eine moderne Form der Sklaverei und eine schwere Menschenrechtsverletzung, die trotz aller internationaler Normen und Verbote weiterhin tagtäglich mitten in unserer Gesellschaft geschieht.“ Nur durch die zunehmende Vernetzung von Hilfsorganisationen, Strafverfolgungsbehörden und weiteren Akteuren innerhalb der EU wird es möglich, schneller zu handeln und den Opfern von Menschenhandel eine grenzüberschreitende, kohärente Unterstützung zu bieten.

In ihrem Videogrußwort würdigte die Bayerische Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales, Ulrike Scharf, die wichtige Arbeit der Beratungsstellen, die durch staatliche Mittel für Präventionskampagnen und Unterstützungsmaßnahmen gefördert werden. „Wir sind nicht ohnmächtig. Wir können das Unrecht des Menschenhandels bekämpfen. Dafür steht diese Fachtagung“, so Staatsministerin Scharf. Ein zentrales Instrument sei dabei die Prävention durch Sensibilisierung von wichtigen Akteuren wie Meldestellen. Scharf nahm allerdings auch den Bund in die Pflicht: Bestehende EU-Richtlinien müssen umgesetzt und ein nationaler Verweismechanismus eingeführt werden. Menschenhandel ist ein Geschäftsmodell Dr. Adina Schwartz von der Fachberatungsstelle „Jadwiga“ verdeutlichte, wie komplex der Kampf gegen Menschenhandel ist: Im letzten Jahr gab es einen Anstieg von 41% der Betroffenen in Europa. Menschenhandel ist heutzutage kein isolierter Straftatbestand mehr, sondern durch Netzwerke von über 800 Gruppen mit rund 25.000 Mitgliedern gestützt, die in verschiedenen Bereichen in die Gesellschaft hineinwirken. Statistiken zeigen, dass die Ausbeutung in Form von Arbeits- und sexueller Zwangsarbeit zunimmt und nahezu gleich häufig vorkommt. Zudem fehle es oft an strukturierten Daten zur Erfassung von Menschenhandelsfällen, was eine zielgerichtete Bekämpfung erschwere.

Schwartz gab auch Einblicke in ihre Arbeit in der Fachberatungsstelle: Die Arbeit von „Jadwiga“ ruht auf drei Säulen: frühzeitige Opferidentifizierung, individuelle Beratung und konkrete Hilfe. Ihre Effektivität verdanke sich der Mehrsprachigkeit des Teams und der kulturellen Sensibilität, die für Vertrauen und Zugang zu den Betroffenen entscheidend seien. Schwartz stellte außerdem den neuen Fachbeirat der Betroffenen vor, der von Frauen aus Nigeria, Uganda, den Philippinen, Deutschland, Ungarn und Rumänien gebildet werde und seit Kurzem aktiv in die Arbeit der Beratungsstellen eingebunden ist. Europäische Zusammenarbeit gegen Menschenhandel

Impressionen der Fachtagung

Martina Liebsch, Geschäftsführerin des Katholischen Forums Leben in der Illegalität und Mitglied der Arbeitsgruppe gegen Menschenhandel, betonte die Bedeutung europäischer Zusammenarbeit und skizzierte die komplexen Herausforderungen bei der transnationalen Verfolgung und Bekämpfung des Menschenhandels. Die Täter kommen überwiegend aus Europa. Bei den Opfern ist die Situation komplexer: Ungefähr die Hälfte sind EU-Bürger und die andere Hälfte sind Bürger aus Nicht-EU-Ländern. Dabei wird ca. ein Drittel der Opfer innerhalb der eigenen Grenzen „gehandelt“. Der Handel bleibt allerdings niemals vollkommen im Verborgenen. Denn die Opfer bewegen sich über Grenzen (oder werden bewegt!). Sie hinterlassen „Spuren“ in Beratungsstellen oder Behörden oder im „Netz“. Kann man die einzelnen Spuren zusammenfügen, lässt sich der ganze Weg des Menschenhandels rekonstruieren und Hilfe über Grenzen hinweg wird möglich. Eine gute Vernetzung ist dabei aber die notwendige Voraussetzung. Liebsch stellte einige der wichtigsten europäischen Akteure und Initiativen im Kampf gegen Menschenhandel vor. Dazu gehören unter anderem die GRETA-Kommission, die EU-Agenturen zur Menschenhandelsbekämpfung, und spezialisierte Netzwerke wie Talita Kum und das Projekt TIATAS zur Unterstützung von Geflüchteten. Auch die OSZE kann durch ihre weitreichende Autorität zunehmend Sanktionsmaßnahmen zur Menschenhandelsbekämpfung ergreifen. Allerdings bleibt trotz der Einführung moderner Technologien und verstärkter Vernetzung das Dunkelfeld weiterhin groß. Das liegt auch daran, dass die Informationssysteme noch nicht überall kompatibel sind und auch kulturelle Unterschiede zwischen den Akteuren bestehen.

Probleme bei der Strafverfolgung und neue Lösungsansätze

Anja Fuchs, Staatsanwältin als Gruppenleiterin (München I), sprach über die Herausforderungen der Strafverfolgung in Menschenhandelsfällen, insbesondere im Zusammenhang mit Zeugenbeweisen. Problematisch ist hierbei insbesondere der sogenannte Unmittelbarkeitsgrundsatz im Strafrecht: Das Gericht soll die Beweise möglichst direkt und „aus erster Hand“ sehen und hören. So sollen Zeugen direkt vor Gericht aussagen. Berichte und Aufzeichnungen finden nur in Ausnahmefällen Verwendung. Opfer von Menschenhandel sind meist nicht greifbar, nicht zu einer Aussage bereit oder nicht dazu in der Lage. Ohne Aussage der Geschädigten selbst kommt es in vielen Fällen zu keiner Verurteilung. Die Staatsanwältin plädiert deshalb für eine intensivere Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungsbehörden und Opferschutzorganisationen sowie für die Standardisierung von Videovernehmungen bei Rotlicht-Delikten. Die oftmals prekäre Lage der Opfer erschwert die Zeugenaussagen, weshalb auch Strategien zur Videoaufzeichnung von Erstvernehmungen entwickelt werden sollten, um die Opferbelastung zu minimieren und die Aussagekraft zu erhalten.

Kooperationsstrukturen in Bayern

Die Kooperationsstrukturen in Bayern nahm Frau Dr. Anja Thalmaier, Referatsleiterin für Prostituiertenschutz, Schutz vor sexueller Ausbeutung und Zwangsheirat, vom Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales in den Blick. Im Fokus lag dabei die Bayerische Zusammenarbeitsvereinbarung zum Schutz von Opferzeugen in Menschenhandelsfällen. Diese bietet eine Handlungsorientierung für relevante behördliche (z.B. Ermittlungsbehörden) und zivilgesellschaftliche Akteure (z.B. Fachberatungsstellen). Ziel ist es, Betroffene schnell zu identifizieren und an Hilfesysteme weiterzuleiten, um ihnen bestmögliche Betreuung und Unterstützung zu bieten. Außerdem soll dadurch eine effektive Strafverfolgung gewährleistet werden. Frau Thalmaier stellte die aktuellen Überlegungen zur Überarbeitung der bestehenden Zusammenarbeitsvereinbarung vor. Man sei momentan in Gesprächen mit allen relevanten Akteuren. Im Vergleich zur bestehenden Vereinbarung soll insbesondere die Zahl der beteiligten Akteure erweitert werden. Auch gibt es Überlegungen der Vereinbarung eine neue rechtsverbindliche Form zu geben, die nicht nur die Ministerien verpflichtet.

Kampf gegen Menschenhandel findet auf viele Ebenen statt

Im Anschluss an die Vorträge hatten die Teilnehmer in drei Themenforen die Möglichkeit, nochmals aktiv mit den Referentinnen ins Gespräch zu kommen und die einzelnen Themenkomplexe zu vertiefen. Im Themenforum 1 (Zusammenarbeit in Europa) standen insbesondere die Schwierigkeiten bei der transnationalen Zusammenarbeit im Fokus, die sich vor allem auch aus unklaren Zuständigkeiten ergeben. Die Referentin, Frau Liebsch, betonte die Chancen, die sich aus einer grenzüberschreitenden Vernetzung ergeben und zeigte auch Fördermöglichkeiten auf.

Die konkreten Schwierigkeiten von Ermittlungsbehörden und Justiz beim Thema Menschenhandel waren zentraler Diskussionsgegenstand im Themenforum 2 (Zusammenarbeit in Deutschland) mit Staatsanwältin Fuchs. Konkret ging es darum, wie sich ein Anfangsverdacht ergeben kann, dass die personelle Ausstattung verbessert werden müsste und dass spezielle Kammern für den Bereich Menschenhandel wünschenswert wären. Im Themenforum 3 (Zusammenarbeit in Bayern) mit Frau Dr. Thalmaier wurde deutlich, dass die Zusammenarbeitsvereinbarung bisher zu wenig bekannt ist. Die Schwierigkeit besteht einerseits darin, dass sich alle Kooperationspartner darin wiederfinden müssen. Andererseits muss es einen leicht verständlichen Leitfaden für die operative Ebene geben. Zudem sollten die Jugendämter bei der Überarbeitung der Vereinbarung miteingebunden werden, um auch den Schutz Minderjähriger zu gewährleisten.

Insgesamt verdeutlichte die Fachtagung die schon erreichten Fortschritte aber auch die bestehenden Herausforderungen im Kampf gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution. Die Teilnehmer bekräftigten die Notwendigkeit, Maßnahmen gegen Menschenhandel auf verschiedenen Ebenen zu intensivieren, und betonten die Relevanz langfristiger Kooperationsstrukturen.

Interview: "Gerechtigkeit kennt keine Grenzen - Gemeinsam gegen Menschenhandel von Bayern bis Europa"

Doku 10 Jahre Aktionsbündnis gegen Frauenhandel

Cover der Dokumentation Zum 10-jährigen Bestehen des Aktions­bünd­nisses ist eine Publikation entstanden, die die Entwicklung des Aktionsbündnisses und die Themenschwerpunkte der vergangenen Jahre dokumentiert. Sie finden darin u.a. Tagungsbeiträge und Informationen über Referenten und Mitglieder.

Dokumentation herunterladen: Dokumentation 10 Jahre Aktionsbündnis gegen Frauenhandel (PDF, 1.2 MB)