Vor dem Hintergrund des Europäischen Tages gegen Menschenhandel veranstalten die Hanns-Seidel-Stiftung, Renovabis und das Aktionsbündnis gegen Frauenhandel gemeinsame Jahrestagungen zum Themenkomplex Frauenhandel. Ziel der Veranstaltungsreihe ist es, ein öffentliches Bewusstsein für die Opfer von Zwangsprostitution und Frauenhandel zu schaffen und mit Fachleuten aus Politik und Wissenschaft, von Polizeibehörden und Fachberatungsstellen über Herausforderungen und Lösungsansätze zu diskutieren.
Hilfsorganisationen und Experten schätzen, dass in Deutschland etwa 200.000 bis 400.000 Frauen in der Prostitution sind – größtenteils unter Zwang. Rund 90% der Frauen haben einen Migrationshintergrund und kommen vor allem aus Rumänien, Bulgarien und anderen Balkanstaaten, aber auch aus Afrika und Asien. Die jährlichen Umsätze im Bereich der Prostitution liegen bei rund 15 Milliarden Euro. Dieser Profit geht vornehmlich an Bordellbetreiber, Schlepper und Schleuser.
Eigentlich sollte das 20-jährige Bestehen des Aktionsbündnisses gegen Frauenhandel am 16.10.2020 im Konferenzentrum der Hanns-Seidel-Stiftung groß gefeiert werden. Leider musste die Veranstaltung Corona-bedingt auf den 28.04.2021 verschoben werden. Nichtsdestotrotz organisierte die Stiftung am 16.10.2020 die Vollversammlung der Mitglieder des Aktionsbündnisses mit dem Themenschwerpunkt Corona. Ziel war es, zusammen mit Vertretern von Polizei, Kreisverwaltungsreferat und Fachberatungsstellen die durch Corona veränderte Situation von (Zwangs-)Prostituierten in München zu beleuchten.
20 Jahre Aktionsbündnis gegen Frauenhandel
Das Aktionsbündnis gegen Frauenhandel entstand im März 2000 aus einer Seminartagung auf dem Domberg Freising. Der Titel dieser ersten Fachtagung lautete „Die Würde der Frau ist antastbar – Handel mit osteuropäischen Frauen“. 2001 stieß Renovabis als künftiger Koordinator des Aktionsbündnisses hinzu, 2004 gab es die erste Fachtagung in Kooperation mit der Hanns-Seidel-Stiftung. Mittlerweile besteht das „ökumenische Netzwerk mit Bayern-Bezug“ seit 20 Jahren.
Was hat das Aktionsbündnis in den letzten 20 Jahren erreicht?
- Sensibilisierung von Politik und Gesellschaft hinsichtlich der Problematik Zwangsprostitution: Frauenhandel ist ein menschenverachtendes Geschäft und die Ausbeutung nimmt weltweit zu.
- Prostitution wird heute in Politik und Gesellschaft kritischer diskutiert und bewertet als früher: Prostitution ist kein Job wie jeder andere!
- Bessere Förderung der Fachberatungsstellen: vor 20 Jahren befassten sich z.B. bei Jadwiga zwei Halbtagskräfte mit 40 Fällen der Zwangsprostitution, 2019 arbeiteten 10 Mitarbeiterinnen an 325 Fällen.
- Etablierung einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit aller Akteure im Kampf gegen Frauenhandel
Herausforderung Corona: Berichte von Polizei, KVR und Fachberatungsstellen
Bernhard Feiner, Erster Kriminalhauptkommissar am Polizeipräsidium München, berichtete, dass aufgrund der Corona-bedingten Grenzschließungen viele Prostituierte nach Hause gefahren sind (v.a. nach Rumänien, Bulgarien, Ungarn). 10-15% der ausländischen Prostituierten sind in München geblieben, durften jedoch nicht mehr arbeiten. Ein Zimmer im Bordell kostet 100-150€ Miete pro Tag. Die Bordellbetreiber ließen die Frauen kostenlos in den Bordellen wohnen und verpflegten sie. Viele der Prostituierten arbeiteten jedoch nebenbei illegal in Hotelzimmern und Privatwohnungen, weswegen die Bordellbetreiber ihr Entgegenkommen beendeten. In legalen Bordellen sind keine Zuhälter zugelassen, aber in den illegalen Bordellen waren Zuhälter häufig anzutreffen. Die Münchner Polizei hatte in dieser Zeit vermehrt Einsätze wegen illegaler Bordelle u.a. im Sperrbezirk. Die sich illegal Prostituierenden begingen viele Straftaten und Ordnungswidrigkeiten. Nachdem den Klagen von Betreibern gegen die Corona-bedingten Bordellschließungen stattgegeben wurde, öffneten Ende Juni 2020 viele Bordelle wieder. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Bordellöffnung bestätigt. Um Bordelle als Hotspot zu verhindern, erstellten die Betreiber Hygienekonzepte und hielten sich strikt an die Hygieneschutzmaßnahmen. Schnell nach der Öffnung kamen 80-85% der Prostituierten und auch die Freier wieder zurück in die Bordelle. Ein Teil der Frauen verblieb in der Illegalität. Sollte das Schwedische Modell (Sexkaufverbot) in Deutschland eingeführt, würde das den Schutz der Prostituierten gefährden, so Feiner. Sie würden in die Illegalität gedrängt und wären den Zuhältern stärker ausgeliefert. Die Polizei hätte keinen Zugang zu den Prostituierten und wüsste nichts über ihren Aufenthalt und ihre Arbeitsbedingungen, zusätzlich wäre der Personaleinsatz der Ermittlungsbehörden höher und die Strafverfolgung würde erschwert. Die Corona-Beschränkungen behinderten die behördliche Verlängerung von Prostitutionsausweisen und Gesundheitsbescheinigungen im Kreisverwaltungsreferat (KVR). Der Ablauf von Prostitutionsausweisen wird von der Polizei daher nicht auf den Tag genau verfolgt. Hier kooperieren KVR und Polizei.
Alain Langefeld, vom KVR der Landeshauptstadt München ergänzte, dass mit der Einführung des Prostituiertenschutzgesetzes ab 1. Juli 2017 für Prostituierte eine Anmeldepflicht bei der Stadt besteht. Dieser ein- bis zweistündige Termin beinhaltet ein Beratungs- und Informationsgespräch sowie die Ausgabe von Flyern der Fachberatungsstellen. Die KVR-Mitarbeiter suchen beim Gespräch nach Anhaltspunkten für Zwangsprostitution. Solche wären z.B. gegeben, wenn die Frau nicht über eigenes Geld verfügt, um die Gebühr zu bezahlen und jemanden anrufen muss oder die Begleitperson für sie bezahlt. In solchen Fällen werden die Fachberatungsstellen hinzugezogen und die Polizei informiert. Die Polizei sucht dann das Bordell auf, in dem die Frau tätig ist. Seit Juli 2017 haben sich 4.800 Prostituierte beim KVR angemeldet, 150 galten als Verdachtsfälle von Zwangsprostitution (3%). Das KVR bekommt auch Hinweise von den Beratungsstellen. In Deutschland waren Ende 2019 rund 40.400 Prostituierte bei Behörden angemeldet, in München waren es ca. 2.500. 85% der Prostituierten in München haben Migrationshintergrund, zumeist einen osteuropäischen. 2019 gab es beim KVR rund 1.040 Anmeldungen und Verlängerungen des Prostitutionsausweises, Januar bis Oktober 2020 waren es rund 500. Aufgrund der Corona-Beschränkungen bestand 4 Monate keine Möglichkeit der Anmeldung, mittlerweile werden wieder mehr Frauen vorstellig. Corona-bedingt werden an die Frauen mehrsprachige Informationsflyer bzgl. Sozialhilfe und Rückführungen verteilt.
Monika Cissek-Evans, Leiterin der Fachberatungsstelle JADWIGA München (Link: https://www.jadwiga-online.de/) unterstrich die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen JADWIGA, dem KVR und der Polizei: „Bisher haben 15 Frauen Anzeige erstattet, 21 Frauen beantragten Rückkehrhilfe“. Um während des Corona-Lockdowns handlungsfähig zu bleiben, haben sich die Mitarbeiterinnen von JADWIGA München in zwei Stockwerke aufgeteilt. Treffen beider Gruppen fanden nur in der frischen Luft statt. Den Klientinnen stand Telefon-(Video)-Beratung, persönliche Beratung und Krisenintervention zur Verfügung. Abstimmungsbedarf gab es mit anderen Beratungsstellen, mit Polizei und KVR. Afrikanische Klientinnen verhielten sich sehr umsichtig, weil sie bereits Epidemien kannten. Schwierig waren die Rückreise und die Unterbringung vor dem Hintergrund der Quarantäneregelungen. Sozialdienste haben in ANKER-Zentren Kontakt aufgenommen und die Weiterreichung der Unterlagen ermöglicht. In einigen Fällen halfen auch die rumänischen, ungarischen und bulgarischen Konsulate.
Adina Schwartz von JADWIGA wies darauf hin, dass Zwangsprostituierte im Asylverfahren Unterkunft, Verpflegung und Unterstützung erhalten, osteuropäische Frauen während des Corona-Lockdowns jedoch auf JADWIGA angewiesen waren. JADWIGA hat 48 weiblichen und 4 männlichen Prostituierten aus Osteuropa Unterstützung angeboten. Mithilfe von IOM wurden Rückführungen organisiert oder die Unterbringung in München sichergestellt. Über ein Drittel der in Deutschland gemeldeten Prostituierten stammen aus Rumänien. 2021 ist eine deutsch-rumänische Tagung gegen Menschenhandel geplant.
Renate Hofmann von der Fachberatungsstelle SOLWODI Bad Kissingen (Link: https://www.solwodi.de/seite/353235/solwodi-bayern-e.v..html) unterstrich, dass sie Corona-bedingt mehr zu tun hatten. Im Lockdown konnten Behördengespräche nur telefonisch stattfinden. Aufgrund von Corona gab es Verzögerungen bei der Antragstellung und beim Antragsbeschluss: Abläufe waren verlangsamt und die Arbeit wurde erschwert. Bei den Behörden musste mehrfach nachgehakt werden. Die Schutzwohnungen waren durchgehend geöffnet, die Neuaufnahme von Schutzbedürftigen in Schutzwohnungen wurde jedoch schwieriger. Die Corona-Beschränkungen erschwerten den Beziehungsaufbau zu den Frauen, der Betreuungsaufwand war höher (z.B. Aufklärung bei Fake News etc). Für die Kinder der Klientinnen waren der Wegfall des Tagesrhythmus, die fehlende technische Ausstattung und die Überforderung der Mütter belastend. Bei den betreuten Frauen löste Corona große Unsicherheit aus, doch nach den Lockerungen vereinfachte sich die Situation: Hausbesuche, Termine in Gemeinschaftsunterkünften und begleitete Behördengänge waren wieder möglich. SOLWODI zahlte den Klientinnen einen Vorschuss, weil ihnen durch den Lockdown Einkommen und Jobmöglichkeiten wegbrachen. SOLWODI selbst musste Kurzarbeit im Verwaltungsbereich einführen. Die Mehrausgaben (u.a. für Schutzmasken) erhöhten sich, doch es gingen weniger Spenden ein.
Premiere: Video zur Loverboy-Masche
Das neue Video von lightup Germany, der Jungen Akademie und Kerstin Neuhaus über die Loverboy-Masche wurde bei der Vollversammlung gezeigt. Es erzählt die Geschichte von Lily, die Opfer eines Loverboys wird. Link zum Video: https://www.youtube.com/watch?v=HyAo4oCFpQs
Loverboys sind junge Männer, die einem Mädchen oder einer jungen Frau eine Liebesbeziehung vortäuschen, um sie später in die Prostitution zu locken bzw. zu zwingen.
Kerstin Neuhaus, die Autorin und Darstellerin des Films, ist Mitarbeiterin der Hanns-Seidel-Stiftung und mit dem Verein lightup-Movement (Link: https://www.lightup-movement.de/) Mitglied des Aktionsbündnisses gegen Frauenhandel.
Bericht von Dr. Susanne Schmid