Fachtagung der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung in Kooperation mit dem Aktionsbündnis gegen Frauenhandel und der Solidaritätsaktion Renovabis im Evangelischen Forum Annahof, Augsburg
Grauzone Rotlicht: Legalität – Realität – Menschenwürde Fachtagung am 14. Oktober 2025 im Evangelischen Forum Annahof, Augsburg
Tagungsbericht
Die Fachtagung "Grauzone Rotlicht: Legalität – Realität – Menschenwürde" fand am 14. Oktober 2025 im Evangelische Forum Annahof in Augsburg statt. Rund 70 Teilnehmende aus Politik, sozialer Arbeit und Zivilgesellschaft diskutierten über die rechtlichen, gesellschaftlichen und ethischen Dimensionen von Prostitution.
Grußworte: Deutliche Worte zum Auftakt
Susanne Breit-Keßler, stellvertretende Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung und Vorsitzende des Bayerischen Ethikrats, eröffnete die Tagung mit klaren Worten. Sie sprach vom "Kampf in der Grauzone, manchmal auch im Schatten" und betonte, dass Frauen in der Prostitution "zur Ware degradiert werden, deren Preis verhandelt werden kann". Mit Blick auf die erschreckenden Zahlen – 90 Prozent der geschätzten 250.000 bis 400.000 Prostituierten in Deutschland haben einen Migrationshintergrund – forderte sie eine Änderung der Gesetzeslage zum Schutz der betroffenen Frauen. Ihr eindringlicher Appell: "Frauenhandel ist skandalös. Zwangsprostitution muss aus den dunklen Winkeln geholt werden."
Ulrike Scharf, Bayerische Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales, charakterisierte das Geschehen als "eiskalten Sklavenhandel mitten in Bayern, mitten in Europa". Sie verwies auf die wichtige Arbeit des Aktionsbündnisses, das Brücken zurück ins Leben schlage, und informierte über Unterstützungsmaßnahmen der Bayerischen Staatsregierung wie Aufklärungskampagnen an Schulen zur Warnung vor Loverboys.
Eva Weber, Oberbürgermeisterin der Stadt Augsburg, erinnerte an die Istanbul-Konvention und berichtete von der Situation vor Ort. Augsburg galt einst als "Rotlicht-Mekka von ganz Deutschland", doch durch aktives Handeln, etwa ein Verbot der Straßenprostitution, habe sich der Blick auf die Stadt gewandelt. Weber machte deutlich, dass fehlende Sprachkenntnisse den Zugang zu Schutzmaßnahmen erheblich erschweren. Von 400 angesprochenen Frauen schafften trotz Streetwork-Projekten mit Solwodi nur 11 den Ausstieg – ein Schritt, der "wahnsinnig viel Mut" erfordere. Die Stadt arbeitet an niederschwelligen Hilfsangeboten, darunter ein geplantes medizinisches Hilfsmobil, in dem Frauen sich ohne Versicherungskarte behandeln lassen können.
Prostitution und Menschenwürde: Eine sozialethische Analyse
Prof. Dr. Elke Mack, Professorin für Christliche Sozialwissenschaft und Sozialethik an der Universität Erfurt, setzte sich kritisch mit der kürzlich erschienenen Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes auseinander. Die offiziellen Statistiken mit 32.254 gemeldeten Prostituierten stünden in krassem Widerspruch zu realen Schätzungen der Behörden, die von zehnmal so vielen Betroffenen ausgehen. Die Kernfrage ihrer Forschung lautete: Gibt es Menschenhandel und unfreie Prostitution in Deutschland? Zur Beantwortung bezog sie Staatsanwälte, Polizei, Experten aus Gynäkologie, Psychiatrie und Traumaforschung, internationale Fachstudien sowie die soziale Arbeit mit Aussagen von Aussteigerinnen ein. Das Ergebnis ist eindeutig: "Natürlich gibt es Menschenhandel, Zwang, Migrations- und Armutsprostitution in Deutschland." Die medizinischen Folgen sind gravierend: chronische Erkrankungen der Geschlechtsorgane, sexuell übertragbare Krankheiten, schwere Verletzungen des Unterleibsbereichs und Mund-Rachenraums, eine überdurchschnittliche Sterblichkeitsrate und stark verkürzte Lebenserwartung. Macks ernüchterndes Fazit: "Deutschland ist das Bordell Europas." In Bezug auf Prostitution formulierte Mack ein zentrales Postulat: Bei einer echten Würdeschutzverpflichtung müsse nicht nur Zustimmung zum Sex im Vorfeld, sondern auch tatsächliche Autonomie während der sexuellen Interaktion gewährleistet sein. Doch gerade das sei bei Prostitution nicht der Fall: "Sexuelle Fremdbestimmung ist das Prinzip von Prostitution." Viele Betroffene sprächen von "bezahlter Vergewaltigung". Diese Einschätzung finde Bestätigung in Kriminalstatistik, Medizin, Traumaforschung und Rechtsphilosophie. Aussteigerinnen würden niemals mehr ganz gesund. Macks Schlussfolgerung ist radikal: Die geltende Gesetzgebung sei verfassungswidrig. Es handele sich um eine "Rechtsstaatsillusion", dass der Gesetzgeber Würde in der Prostitution garantieren könne. Die Regelung müsse so gefasst werden, dass keine weitere Würdeverletzung bei hunderttausenden vulnerablen Menschen mehr stattfinde. Das Nordische Modell – ein generelles Verbot der Prostitutionsstätten und der gewerblichen Organisation in Verbindung mit striktem Sexkaufverbot – sei eine mittlere Lösung. Prostitution bezeichnete sie als "asymmetrische Gewalt" und zitierte Schwester Lea Ackermann: "Prostitution ist die letzte Basis des Patriarchats."
Ein Beispiel aus der polizeilichen Ermittlungsarbeit
Franziska Weber, Polizeioberkommissarin aus Nürnberg, präsentierte auf der Tagung ein Beispiel für ein erfolgreiches Ermittlungsverfahren aus ihrer eigenen Praxis, das zeigte, wie konsequente Ermittlungsarbeit zu einer gerechten Bestrafung von Tätern führen kann – und wie wichtig der Schutz der Opfer ist. Das Urteil liegt aktuell beim Bundesgerichtshof. Sollte es rechtskräftig werden, würden die üblichen Strafen von 3-4 Jahren für Zuhälterei und Zwangsprostitution deutlich übertroffen – ein wichtiges Signal für die Rechtsprechung. Der Fall begann mit einem Anfangsverdacht. Weber und ihre Kollegen arbeiteten sich systematisch durch einschlägige Internetseiten und überwachten Telefone. Dabei zeigte sich ein erschreckendes Bild: Freier äußerten häufig abartige Wünsche, darunter Demütigung, Gewaltausübung und pädophile Neigungen. Beim Zugriff hatten die Zuhälter Geld in szenetypischer Stückelung bei sich – ein deutlicher Hinweis auf ihre kriminellen Aktivitäten.
Im Zentrum des Falls stand "Asya", eine junge Frau, die von der Organisation Jadwiga in eine Schutzwohnung gebracht wurde. Die Umstände waren besonders gravierend: Asya war geistig auf dem Stand eines Kleinkindes, komplett unselbständig und konnte weder lesen noch schreiben. Sie war weder verbal noch körperlich in der Lage, sich zu wehren, und sprach selbst nur von "Massagen" – ein Zeichen dafür, wie sehr sie die Realität ihrer Situation verdrängen musste oder nicht begreifen konnte. Die Ermittlungen förderten schockierende Zahlen zutage: 1366 Sexualkontakte konnten nachgewiesen werden. 19 Freier wurden identifiziert. Durch die enge Zusammenarbeit mit Behörden in Bulgarien konnte es zu einer Verurteilung wegen Vergewaltigung und Zwangsprostitution kommen. Weber betonte in ihrem Vortrag die Wichtigkeit eines respektvollen Umgangs mit den betroffenen Frauen: "Das sind Frauen wie wir, die man ganz normal behandeln sollte, nicht von oben herab." Diese Haltung ist fundamental für eine erfolgreiche Ermittlungsarbeit und den Schutz der Opfer. Nur wenn die Frauen sich ernst genommen und respektiert fühlen, können sie Vertrauen fassen und bei den Ermittlungen helfen.
Erfahrungen mit dem "Nordische Modell" in Schweden
Einen Kontrast dazu bot die Schilderung der schwedischen Polizeiarbeit, wie sie Simon Häggström, leitender Ermittler der schwedischen Polizei, vorstellte. Er berichtete von 25 Jahren Erfahrung mit dem Nordischen Modell, das 1999 in Schweden eingeführt wurde. Häggström erklärte das Grundprinzip: Prostitution ist erlaubt, Sexkauf jedoch verboten. Freier werden mit empfindlichen Geldstrafen belegt, bei Wiederholung drohen bis zu sechs Monate Gefängnis. Das System wirke hocheffektiv: Die Zahl der Prostituierten habe von 2.500 auf 500-1.000 abgenommen, und die Akzeptanz in der Bevölkerung liege bei über 70 Prozent.
Häggström betonte, dass das Null-Toleranz-System auch bei der Bekämpfung von Zuhälterei greife: Alles, was mit dem Management von Prostituierten zu tun habe – vom Transport über Hotelbuchungen bis zur Geldverwaltung – sei strafbar mit Höchststrafen bis zu zehn Jahren. Die große kriminellen Vereinigungen, die hinter dem Geschäft mit der Prostitution stehen, gingen dorthin, wo Sexkauf legal ist. Seine Schlussbotschaft war unmissverständlich: "Null Toleranz, weil kein Mensch käuflich sein darf!"
Europäische Perspektiven: Deutschland als "Nehmerland"
Maria Noichl, Mitglied des Europaparlaments, präsentierte die europäische Dimension des Themas. Sie machte deutlich, dass sich das Europaparlament mehrheitlich einig sei: Prostitution ist nicht Arbeit, sondern Gewalt. Diese Sichtweise sei für die Gleichstellungspolitik von fundamentaler Bedeutung. Ihr prägnanter Satz: "Ist eine käuflich, sind alle käuflich!" verdeutlichte den gesellschaftlichen Zusammenhang zwischen Prostitution und dem Status von Frauen insgesamt. Noichl charakterisierte Deutschland als "Geberland" in vielen Bereichen, doch in Sachen Prostitution sei es ein "Nehmerland", das "wie ein Schwamm alles aufsaugt – und das weltweit". Sie kritisierte die wegschauende Gesellschaft und prangerte das rassistische Bewertungsschema für Frauenkörper an. Besonders schockierend sei die rohe Sprache, mit der über geflüchtete Frauen aus der Ukraine als "Frischfleisch" gesprochen werde. Die EU-Parlamentarierin machte aber auch auf die Komplexität des Themas aufmerksam: Die Mehrheit für eine Ächtung der Prostitution im Europaparlament sei nur zustande gekommen, weil das Thema Migration ausgeklammert wurde. Ein pauschales Bleiberecht für Opfer würde Prostitution zum "Einfallstor für illegale Migration" machen. Daher müsse das Nordische Modell um eine fünfte Säule ergänzt werden, die den Umgang mit Migrantinnen regele. Die Schutzwürdigkeit müsse von der Schwere der Straftat abhängen. Trotz aller Komplexität zeigte sich Noichl optimistisch: "Das Nordische Modell wird kommen. Am Ende siegt das Hirn."
Fazit: Ein gesellschaftlicher Prüfstein
Die Tagungsleiterinnen Juliane Gröger (Hanns-Seidel-Stiftung) und Daniela Schulz (Renovabis) zogen in ihrem Abschlusswort Bilanz: Die Tagung habe gezeigt, dass Prostitution kein Randthema ist, sondern ein gesellschaftlicher Prüfstein für Gleichstellung und Menschenrechte. Zwei Sätze seien besonders hängengeblieben: Simon Häggströms Formulierung "Prostitution is paying to remove the consent" und Maria Noichls Feststellung "Ist eine käuflich, sind alle käuflich". Diese Einstellung, dass Frauen käuflich seien, stelle die zentrale Frage: Wollen wir das den kommenden Generationen als normal weitergeben?
Die Organisatorinnen dankten allen Referentinnen und Referenten sowie den Teilnehmenden für ihr Engagement. Ihr Appell: Das Thema aus der Nische in die Fläche tragen, in Politik, Praxis und Bildung – mit dem Ziel, konkrete Verbesserungen für die betroffenen Menschen zu erreichen. Nur durch Aufklärung und öffentlichen Diskurs könne ein Bewusstseinswandel gelingen.
Die Tagung endete mit einem Empfang anlässlich des 25-jährigen Bestehens des Aktionsbündnisses gegen Frauenhandel – ein Vierteljahrhundert beharrlicher Arbeit für die Würde und Rechte der betroffenen Frauen.
Bericht: Irmgard Huber, Frauenseelsorge der Erzdiözese München und Freising