Fachtagung der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung in Kooperation mit dem Aktionsbündnis gegen Frauenhandel und der Solidaritätsaktion Renovabis im Kolpinghaus in Regensburg.
Menschenhandel und Trauma – Herausforderungen im Kampf gegen den Menschenhandel
Am 17. Oktober 2023 fand in Regensburg die 20. Fachtagung der Akademie für Politik und Zeitgeschehen in Zusammenarbeit mit dem Aktionsbündnis gegen Frauenhandel und der Solidaritätsaktion Renovabis statt. Das zentrale Thema waren die Zusammenhänge von Menschenhandel und Traumata, insbesondere im Kontext des Frauenhandels. Mit über 60 Teilnehmenden aus verschiedenen Fachrichtungen wurde intensiv darüber diskutiert, welche Traumata Frauen, Opfer von Menschenhandel, erleben und wie ihnen therapeutisch geholfen werden kann.
Die Konferenz begann mit eindrucksvollen Lesungen, bei denen Kerstin Neuhaus, Geschäftsführerin des Vereins Augsburger/Innen gegen Menschenhandel, Aussteigerinnen aus dem Rotlichtmilieu ihre Stimme lieh. Die vorgelesenen Texte zeigten die lebenslangen Folgen der erlittenen Traumata und die Schwierigkeiten, die Frauen beim Neuanfang erleben. Die Tagung bot Einblicke in die dunklen Schatten der Sexindustrie in Deutschland, die aufgrund ihrer milliardenschweren Umsätze als "Bordell Europas" bezeichnet wird.
In den Grußworten wurde das Hauptproblem deutlich: Deutschland hat sich aufgrund seiner aktuellen Gesetzgebung zu einem lukrativen Ort für die Sexindustrie entwickelt. Ein Umsatz von rund 13 Milliarden Euro pro Jahr wird hauptsächlich von Schleusern, Menschenhändlern und Zuhältern erzielt. Politische Perspektiven im Kampf gegen den Menschenhandel wurden von Bernadette Dechant, Stadträtin und Mitglied der CSU in Regensburg, beleuchtet. Sie betonte, dass die bestehenden Gesetze von 2002 und 2017, die Prostitution als "normale Arbeit" deklarieren sollten, gescheitert seien. Die Realität zeige, dass Angst, Abhängigkeit, Armut und Gewalt Frauen in der Prostitution gefangen halten und gegen Artikel 1 des Grundgesetzes verstoßen. Das Nordische Modell, das eine Bestrafung der Freier vorsieht, sieht sie als Chance, um die Nachfrage zu reduzieren.
Die Einen wollen Sex, die Anderen Geld
Dr. Brigitte Schmid-Hagenmeyer, Traumatherapeutin, beleuchtete die Traumata und deren Folgen bei Opfern des Menschenhandels. Sie betonte, dass Prostitution immer Gewalt sei und die Traumatisierung in der Prostitution schwerwiegend sei. Die Mehrheit der Prostituierten leide unter posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), und die psychischen und physischen Schäden seien erheblich. Sie erläuterte die schiefe Ausgangslage und die schrecklichen Folgen der sich wiederholenden Gewalterfahrung, denn Prostitution sei immer Gewalt, so die Erkenntnis von Fachleuten. Bei Prostitution gibt es keinen Konsens der Beteiligten über das, was geschieht: Die Einen wollen Sex, die Anderen Geld. Weil Prostituierte ertragen müssen, was sie eigentlich nicht wollen, und sich die Psyche nicht täuschen lässt, entsteht aus psychotraumatologischer Sicht immer Stress, dem mit Abschalten, Gefühllosigkeit, Gleichgültigkeit begegnet werden muss, um das Ausgeliefertsein auszuhalten. Dieses Abspalten und Auseinanderfallen von psychischen Funktionen und Körperempfindungen, die Dissoziation, ist ein biologischer Notfallmechanismus, ein Phänomen, das auch im Tierreich zu beobachten ist. Die für Außenstehende oft so verwirrende Gefühllosigkeit und Gleichgültigkeit bei Prostituierten sind Selbstschutzmechanismen, die automatisch anspringen, ebenso das scheinbar sachliche Verständnis der Penetrationserfahrung als Arbeit. In der Regel wird das Ausmaß der seelischen und körperlichen Schädigung erst nach dem Ausstieg realisiert.
Gefühle der Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit
Die Tagung beleuchtete auch die Gefahr der Sekundärtraumatisierung der Helfenden und zeigte, dass diese in der Unterstützung von Opfern ebenfalls traumatisiert werden können. Cathrin Schauer-Kelpin, die Geschäftsführende Vorständin bei KARO e.V., schilderte eindrucksvoll, dass es leicht nachvollziehbar ist, dass in Beratung und Begleitung von Betroffenen von Zwangsprostitution das Weltbild permanent erschüttert wird. Bei vielen Engagierten zeigen sich nach einiger Zeit Burnout-Symptome wie Erschöpfung, Motivationsverlust, Zynismus, Reizbarkeit, Zweifel an der eigenen Kompetenz, Gefühle der Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit. Bei der Sekundärtraumatisierung geschieht eine Übertragung der traumatischen Situation, ohne selbst traumatisiert worden zu sein. Das Wissen um das traumatische Ereignis weckt ein starkes Mitgefühl und führt schließlich zur unbewussten Identifizierung, so dass die gleichen Symptome wie bei der PTBS zu beobachten sind. Risikofaktoren sind eine hohe Empathiefähigkeit, eigene traumatische Vorerfahrungen, eine geringe Berufserfahrung und berufliche Rückschläge; weibliche Personen sind statistisch gesehen stärker gefährdet als männliche.
Nur rund 20 Prozent schaffen den Ausstieg
Rodica Knab, Traumatherapeutin von SOLWODI Augsburg, sprach nicht nur sachkundig über traumatherapeutische Hilfe für Aussteigerinnen aus der Prostitution, sie brachte auch eine Klientin mit, die vor Jahren die Parallelwelt des Rotlichtmilieus hinter sich lassen konnte. Wie schwer es der Frau trotz der erreichten Sicherheit in bürgerlicher Existenz fiel, über die erlittenen Traumata wenigstens ansatzweise zu sprechen, ließ die Zuhörenden ahnen, welche Nachwirkungen diese lebenslang haben werden. Das persönliche Zeugnis beeindruckte tief. Die Therapeutin wies darauf hin, dass die meisten Prostituierten aus ganz anderen Lebensrealitäten kämen und viele der betroffenen Frauen allgemein von physischer und psychischer Gewalt und Entwürdigung geprägt seien. Die Abhängigkeit von gewalttätigen Männern ist Alltagserfahrung, ein Opferbewusstsein fehlt daher. Im Streetwork werde auf kleine Zeichen der Zuwendung gesetzt: freundliche Kontaktaufnahme, Geschenktütchen mit Kosmetika, Informationsbroschüren in verschiedenen Sprachen. Sei eine Frau ausstiegswillig, braucht sie viel Unterstützung: psychosoziale Beratung, Organisation von Dokumenten, Beantragung von Leistungen und Abschluss einer Krankenversicherung, Hilfe bei der Suche von Wohnung und Sprachkurs, Begleitung bei Behördengängen, Beratung in Erziehungsangelegenheiten. Der Ausstieg gelänge am besten über den Aufenthalt in kleineren Schutzhäusern bei engmaschiger Begleitung. Nur rund 20 Prozent schaffe die Rückkehr in die bürgerliche Welt tatsächlich. Ihre größten Wünsche seien Ruhe, persönlicher Frieden und keine Gewalt mehr.
Am Nachmittag präsentierte Kerstin Neuhaus eine eindrucksvolle Studie der amerikanischen Psychologin Melissa Farley über Männer, die für Sex bezahlen. Da sie selbst an der Studie mitgearbeitet hatte und Befragungen durchführte, konnte sie ein klares Fazit ziehen: Freier wissen über die desolate Verfassung der meisten Prostituierten, um den Zwang, dem sie unterliegen. Doch weil Freier für etwas bezahlen, das in Deutschland erlaubt ist, übernehmen sie keine Verantwortung. Obwohl sie es bemerken, wenn Frauen dissoziieren, hält sie das nicht ab. 75% der Freier glauben, dass Prostitution Vergewaltigungen verhindert, doch das Konzept der Vergewaltigung greift in ihren Augen nicht bei Prostituierten. Sie geben jedoch mehrheitlich an, auf die Inanspruchnahme von bezahltem Sex verzichten zu wollen, wenn Sexkauf illegal wäre und ihr Verhalten als kriminell eingestuft würde. Bei der derzeitigen Gesetzeslage ist die Hemmschwelle extrem niedrig. Das Durchschnittsalter der Freier beim Erstkontakt mit einer Prostituierten liegt bei 22 Jahren.
Drei Themenforen boten den Teilnehmenden anschließend die Möglichkeit zum Austausch über die Themenkomplexe.
Traumatisierte Betroffene von Menschenhandel
Fazit: Es fehlt an der Vorstellung, wie das Leben anders aussehen könnte. Es fehlt am Vertrauen zur Polizei. Und der Polizei fehlt es an einer Handhabe, solange die Straftatbestände nicht verändert werden. Es fehlt ferner an finanziellen Mitteln, um enge Betreuungsschlüssel und mehrjährige Begleitung zu realisieren.
Die Situation der Helfenden
Fazit: Die Gefahr der Sekundärtraumatisierung müsste Thema des Gesundheitsschutzes werden, ein Fall für die Berufsgenossenschaften. Die zerklüfteten Helferstrukturen lassen Konkurrenzsituationen entstehen. Austausch, und Vernetzung über die eigene Organisation hinaus könnte die Effektivität steigern und die Helfenden entlasten. Supervision muss selbstverständlich werden. Und die Messlatte für zu feiernde Erfolge darf nicht zu hoch liegen. Auch kleine Erfolge tun der Psyche der Helfenden gut.
Die Verantwortung der Freier
Fazit: Die erlaubte Prostitution fördert die Ausübung von Gewalt durch Freier. Was erlaubt ist, wird getan. Solange Prostitution als ein Gewerbe wie jedes andere gilt, wird es zu keiner Bewusstseinsveränderung kommen.
In ihrem Schlusswort betonte Daniela Lutz von SOLWODI Augsburg, dass Traumata den Ausstieg aus der Prostitution erschweren, und forderte einheitliche Regeln für die gesamte EU sowie einen erweiterten Schutzstatus für Betroffene von Zwangsprostitution aus Nicht-EU-Ländern. Die Tagung bot die Chance, aus verschiedenen Positionen Einfluss auf Politik und Gesellschaft auszuüben, um die Situation zu verbessern.
von Irmgard Huber, Fachbereichsleiterin, Frauenseelsorge im Erzbischöflichen Ordinariat München und Freising