Fachtagung der Akademie für Politik und Zeitgeschehen der Hanns-Seidel-Stiftung in Kooperation mit dem Aktionsbündnis gegen Frauenhandel und der Solidaritätsaktion Renovabis im Caritas-Pirckheimer-Haus in Nürnberg.
Beitrag von Ulrike Scharf, Bayerische Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales.
„Menschenhandel 2.0 – Herausforderungen im Kampf gegen die moderne Sklaverei“ – Dieses Motto stand im Mittelpunkt der 19. Fachtagung des Aktionsbündnisses gegen Frauenhandel, zu der fast 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach Nürnberg gekommen waren. Die jährlichen Fachtagungen werden gemeinsam vom Aktionsbündnis gegen Frauenhandel, der Hanns-Seidel-Stiftung und dem Osteuropa-Hilfswerk Renovabis ausgerichtet und sind immer um den Europäischen Tag gegen Menschenhandel (18. Oktober) terminiert.
Die diesjährige Veranstaltung fand am 20. Oktober 2022 in Nürnberg statt und widmete sich dem „Menschenhandel 2.0“. Gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus Politik und Wissenschaft, von Polizeibehörden und Fachberatungsstellen, aber auch mit Betroffenen selbst, nahmen wir die Problemlagen in den Blick und diskutierten Lösungsansätze. Unser besonderer Fokus lag auf den Themenbereichen: (1) Kinder und Jugendliche in der Zwangsprostitution, (2) Digitalisierung des Menschenhandels sowie (3) Mangelndes Problembewusstsein.
Zur Einstimmung auf die Tagungsthemen präsentierten und diskutierten wir drei Filmclips von Lightup Germany über Menschenhandel, Armutsprostitution und die Loverboy-Methode.
Markus Ferber MdEP und Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung, unterstrich in seinem Grußwort: „Frauenhandel ist moderne Sklaverei und eine schwere Menschenrechtsverletzung“. Hilfsorganisationen und Fachleute schätzen, dass in Deutschland zwischen 250.000 und 400.000 Frauen in der Prostitution sind – größtenteils unter Zwang. 90% der Frauen haben Migrationshintergrund und kommen vor allem aus Rumänien, Bulgarien oder Ungarn, aber auch aus Afrika und Asien. Aktuell sind geflüchtete Frauen und Kinder aus der Ukraine besonders von Frauenhandel bedroht. Die jährlichen Umsätze im Bereich der Prostitution liegen bei rund 15 Milliarden Euro. Dieser Profit geht vornehmlich an Bordellbetreiber, Zuhälter, Schlepper und Schleuser. „Frauenhandel und Zwangsprostitution haben ihre Wurzeln in einer spezifischen Nachfrage und der Bereitschaft, Menschen zur Ware zu degradieren“, so Markus Ferber. Das „Kaufen und Verkaufen von Menschen“ hat auch mit dem gesamtgesellschaftlichen Klima sowie mit mangelndem Moralbewusstsein zu tun.
Prof. Dr. Thomas Schwartz, Hauptgeschäftsführer von Renovabis, betonte, dass seit der Gründung des Aktionsbündnisses die Relevanz für das Thema sogar noch gewachsen sei. Bis heute habe sich an der Problemanzeige nichts geändert. Renovabis hat erst kürzlich mit seinem Internationalen Kongress unter dem Titel „Aufbruch in ein besseres Leben? Herausforderung faire Arbeitsmigration“ auf die Ausbeutung, ja teilweise unmenschliche Behandlung von Menschen hingewiesen, denn die Rechte vieler Menschen, die sich aus der schieren Armut heraus auf den Weg nach Westen machen, werden oft mit Füßen getreten. Und das gilt auch für die vielen Frauen, die mit falschen Versprechungen von einem besseren Leben nach Deutschland gelockt werden und letztlich in der Prostitution landen. Die allermeisten Frauen, die aktuell in deutschen Bordellen „arbeiten“, kommen aus osteuropäischen Ländern, insbesondere aus Rumänien, Bulgarien und Ungarn. Die Mehrheit dieser Frauen sind Armutsprostituierte, die ihrer Tätigkeit nur aus reiner Not nachgehen. Hierfür müssen wir in unserer Gesellschaft dringend mehr Bewusstsein schaffen. Und es muss mit Blick auf die gigantische Sexindustrie auch die Frage erlaubt sein, ob Prostitution wirklich ein „ganz normales Geschäft“ ist, wie manchmal getan wird, oder ob das, was dort geschieht, nicht eher moralisch unerträglich ist und der Menschenwürde widerspricht.
Ulrike Scharf, MdL, Bayerische Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales, befasste sich in ihrem Videobeitrag mit den Ursachen von Frauenhandel: „Je verzweifelter ein Mensch ist, desto leichteres Spiel haben Kriminelle“. Große Sorge bereitete ihr die Digitalisierung von Menschenhandel mit besonderem Augenmerk auf die Loverboy-Methode. Die Staatsministerin unterstrich: „Wir müssen die Täter konsequent suchen und bestrafen. Der Rechtsstaat muss alle Register ziehen.“ Auch vor diesem Hintergrund hat Bayern den Bund aufgefordert, endlich vorhandene Lücken im Strafrecht zu schließen. So darf es beispielsweise nicht sein, dass sog. Loverboys häufig nicht wegen Zwangsprostitution belangt werden können. Scharf forderte, die Ermittlungen regional, national und international weiter auszubauen. München macht es bereits vor: Seit zwei Jahren gibt es bei der Staatsanwaltschaft München I eine Spezialabteilung für Zuhälterei, Zwangsprostitution und Menschenhandel. Weiter mahnte Scharf an „Wir müssen das Prostituiertenschutzgesetz nachschärfen und den Schutz der Frauen verbessern.“ Hierfür bedarf es u.a. mehr bundesweiter Kontrollen im legalen Gewerbe sowie eines Mindestalters von 21 Jahren für Prostituierte. Staatsministerin Scharf würdigte die wichtige Arbeit der Fachberatungsstellen JADWIGA und SOLWODI und schloss mit den Worten. „Bei allen Fortschritten haben wir noch einen langen Weg vor uns. Es stimmt mich zuversichtlich, Sie beim Kampf gegen Menschenhandel an meiner Seite zu wissen. Sie leisten substantielle Arbeit für die Freiheit aller Menschen. – Manche Begegnungen beeinflussen alles, was danach kommt. Lassen Sie uns jene Menschen sein, die für andere zu einem Lichtblick werden, die ihnen dabei helfen, ein unabhängiges Leben in Würde zu führen, selbststbestimmt, frei von Gewalt und Zwang.“
Kinder und Jugendliche in der Zwangsprostitution
Im Rahmen der Fachtagung wurde der Blick speziell auf Kinder und Jugendliche in der Zwangsprostitution gelenkt um mehr über ihre Situation, die Ursachen, Hintermänner und Entwicklungen im Kampf gegen dieses Verbrechen zu erfahren.
Andrea Hitzke, Leiterin der Dortmunder Mitternachtsmission referierte über Kinder und Jugendliche als Betroffene von Menschenhandel und Zwangsprostitution. Basierend auf der UN-Kinderrechtskonvention von 2000 führte Hitzke aus: Kinderhandel ist jede Handlung oder Transaktion, durch die ein Kind von einer Person oder einer Gruppe von Personen gegen Bezahlen oder eine andere Gegenleistung an eine andere Person oder Gruppe von Personen übergeben wird. Das beinhaltet die Anwerbung, Beförderung, Übereignung, Beherbergung oder Entgegennahme eines Kindes zum Zwecke der Ausbeutung. Das gilt auch, wenn dafür keine Drohung, Anwendung von Gewalt, Formen von Zwang, Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht durch Geben oder Empfangen von Geld oder Begünstigungen angewandt werden. Die Referentin definierte die Merkmale der betroffenen Kinder, zählte die Ausbeutungsformen auf und erläuterte wie die Betroffenen in Kontakt zur Beratungsstelle kommen und was die Aussagebereitschaft Minderjähriger als Opferzeugen/innen beeinflusst. Hitzke betonte: „Jeder Fall ist ein Kinderschutzfall!“. Sie unterstrich: „Ohne Kooperation geht es nicht!“ und verwies auf das Bundeskooperationsgesetz.
Monika Cissek-Evans, ehem. Leiterin von JADWIGA München mahnte an, dass es in Deutschland nur ein Kommissariat gegen Kinderhandel gibt, nämlich in Berlin. Sie forderte, dass die polizeiliche Ermittlungsarbeit in Bayern ausgeweitet werden muss. Die Vortragende hat am „Münchner Leitfaden für Handel mit Kindern“ mitgearbeitet. Hierfür wurde u.a. in Zusammenarbeit mit den Jugendämtern ein Indikatorenliste zur Identifikation von Opfern erstellt. Der Leitfaden umfasst standardisierte Prozesse, einheitliches Vorgehen, klare Meldewege, fach- und ressortübergreifende Zusammenarbeit, themenbezogene Schulungen, anonyme Fallberatung und die Einbeziehung städtischer Schutzkonzepte. Cissek-Evans plädierte für die Aktualisierung des Konzeptes sowie einen auf Bayern bezogenen Leitfaden.
Digitalisierung des Menschenhandels
Die Digitalisierung hat – nicht erst seit Corona – auch im Bereich Frauenhandel enorme Auswirkungen. So sind für den Prostitutionsmarkt zahlreiche neue legale und illegale Plattformen und Foren entstanden. In Bezug auf Zwangsprostitution und auch auf Kinderhandel entwickeln sich hier unübersichtliche und kaum zu kontrollierende Räume für skrupellose Menschenhändler und Freier.
Helga Gayer, Präsidentin der Expertengruppe des Europarats zur Bekämpfung des Menschenhandels GRETA – Group of Experts on Action against Trafficking in Human Beings identifizierte als besondere Herausforderungen bei der Bekämpfung des digitalen Menschenhandels: Datenverschlüsselung, Datenvolumen, mangelnde Ausrüstung der Ermittlungsbehörden, unzureichende Rechtsinstrumente, fehlende spezifische Ausbildung bei den Staatsanwaltschaften, mangelnde Unterstützung durch den privaten Sektor und schnellen technologischen Wandel. Sie mahnt an, dass sich die Strafverfolgungsbehörden an den grundlegenden Strukturwandel anpassen müssen. Sie empfahl ressortübergreifende und internationale Zusammenarbeit, niederschwellige Informationen für Betroffene, öffentlichkeitswirksame Aufklärungskampagnen zum digitalen Menschenhandel, Schulungen u.a. für Fachberatungsstellen zur Sicherung digitaler Beweise, technologiegestützte Opferindikatorenerkennung, Aufklärungskampagnen bei vulnerablen Gruppen sowie Verstetigung digitaler Initiativen von NGOs. Abschließend gab Gayer zu bedenken „Technologie kann Praxiserfahrung nur ergänzen!“ und verwies auf die von GRETA in Auftrag gegebene Studie über Online- und technologiegestützten Menschenhandel.
Mangelndes Problembewusstsein
Der Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung, nicht zuletzt das brutale Geschäft mit der „Handelsware Frau“, blüht nach wie vor. Und doch interessiert das Schicksal der misshandelten, ja versklavten Mädchen und Frauen in unserer Gesellschaft nur Wenige. Dabei sind viele der Opfer besonders schutzbedürftig: Kinder und Jugendliche, alleinreisende Geflüchtete, obdachlose und traumatisierte Frauen. Die Zuhälter und Menschenhändler nutzen häufig gezielt deren Notsituationen und Verwundbarkeit aus, um sie auszubeuten und zur Prostitution zu zwingen. – Wir fragen uns: Warum herrscht in unserer Gesellschaft so ein hohes Maß an Gleichgültigkeit und mangelndem Problembewusstsein gegenüber Zwangsprostitution?
Sandra Norak ( Mehr Informationen unter www.sandranorak.com ) ist Juristin und ehemals Betroffene von Frauenhandel. Sie sprach zu den Hintergründen und Erfahrungen der von ihr gegründeten Organisation „Ge-STAC – Germany’s Survivors of Trafficking and Exploitation Advisory Council“. Als Kernprobleme im Bereich des Menschenhandels identifizierte sie (1) fehlendes Opferbewusstsein in Bezug auf Menschenhandel/Zwangsprostitution, insbesondere bei der „Loverboy“-Methode, (2) Drohungen und/oder Gewalt seitens der Täter, (3) Schuld und Scham sowie (4) Trauma-Bindung. Sie erläuterte den Begriff der Trauma-Bindung und führte aus, warum diese Bindungsform generell häufiger im Bereich Frauenhandel anzutreffen ist und warum es sehr schwierig ist, eine Trauma-Bindung zu durchbrechen. Sie erklärte verschiedene Trauma-Typen und führte eindringlich vor Augen, was (Zwangs)prostitution mit einem Menschen macht: Schwere Schädigungen an Leib und Seele bis hin zur Auflösung des Selbst.
Renate Hofmann von SOLWODI Bad Kissingen und Dr. Adina Schwartz von JADWIGA München referierten über mangelndes Problembewusstsein aus Sicht der Fachberatungsstellen. Schwartz informierte, dass JADWIGA 2021 fast 160 Betroffene von Menschenhandel zum sexueller Ausbeutung betreut hat, darunter auch Studierende und Hochschulabsolventinnen. Ziel der Fachberatungsstellen ist die frühzeitige Identifizierung von Betroffenen, die individuelle Betreuung und die Vermeidung einer Reviktimisierung. Die Beratungs- und Unterstützungstätigkeit umfasst Hilfen für Zeuginnen in Strafprozessen sowie die Unterstützung bei der Rückkehr ins Heimatland. Hofmann verwies darauf, dass es kaum Verurteilungen im Bereich Frauenhandel gebe. Sie kritisierte die weitverbreitete Sexualisierung des täglichen Lebens und unterstrich den hohen Bedarf an Frauenschutzwohnungen. Mit Blick auf das BAMF merkte sie an, dass kaum noch Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen erteilt würden.
Im Anschluss an die Fachvorträge bot sich den Teilnehmenden die Möglichkeit zur aktiven Beteiligung in den drei parallelen Themenforen (1) Kinder und Jugendliche in der Zwangsprostitution, (2) Digitalisierung des Menschenhandels sowie (3) Mangelndes Problembewusstsein. Die Arbeitsergebnisse der drei Foren wurde im Plenum präsentiert. Abschließend folgte ein dialogisches Schlusswort der langjährigen Mitglieder des Aktionsbündnisses gegen Frauenhandel: Monica Cissek-Evans und Burkhard Haneke.
Die Fachtagung konnte dazu beitragen, Expertinnen und Experten zu vernetzen und in der Öffentlichkeit mehr Bewusstsein für die Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel zu schaffen. Unser Fazit: Der Kampf gegen Frauenhandel geht weiter. – Wo ein Wille, da ein Weg!