„Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn sie die Käuflichkeit von Menschen weitgehend als normal akzeptiert?“ – Diese Fragestellung stand im Mittelpunkt der 15. Fachtagung des Aktionsbündnisses gegen Frauenhandel, zu der rund 160 Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach München gekommen waren. Die Fachtagung wurde gemeinsam vom Aktionsbündnis gegen Frauenhandel, der Hanns-Seidel-Stiftung und dem Osteuropa-Hilfswerk Renovabis veranstaltet.
Hunderttausende Mädchen und junge Frauen werden jährlich Opfer einer gigantischen Sexindustrie: skrupellose Menschenhändler ködern sie mit falschen Jobversprechen. Das wirtschaftliche Elend und die familiäre Not vieler Frauen aus afrikanischen, asiatischen und osteuropäischen Ländern sind dabei oft ein gefährlicher Nährboden für die Verheißungen der Menschenhändler. Schuld daran sind nicht nur die mangelnden Perspektiven in ihren Heimatländern. Denn Prostitution wird in Deutschland verharmlost, als gesellschaftliche Normalität propagiert und in breiten Schichten akzeptiert. Auf direkte und drastische Weise führte der Filmclip „Sie“ von Kerstin Neuhaus, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer direkt in dieses Themenfeld ein. Zwangsprostitution und Frauenhandel sind Phänomene vor denen wir nicht die Augen verschließen dürfen, so die Kernbotschaft.
Menschen werden zur Ware degradiert
„Frauenhandel und Zwangsprostitution haben ihre Wurzeln in der Bereitschaft Menschen zu einer Ware zu degradieren“, betonte Professorin Ursula Männle, die Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung, in ihrer Begrüßung. Die Fragestellung der Fachtagung sei deshalb, was mit einer Gesellschaft und ihren Normen und Werten passiere, in der die Käuflichkeit von Menschen weitgehend als „normal“ angesehen werde. Daran anschließend betonte der Renovabis-Geschäftsführer Burkhard Haneke, dass „der Kampf gegen Menschenhandel noch lange nicht zu Ende ist.“ Es sei wichtig, sich auch die gesellschaftlichen Hintergründe, Auswirkungen und Mechanismen anzuschauen, um hier einen Wandel voranzutreiben und die Frage anzugehen: „Was können wir, und was kann jeder einzelne eigentlich dagegen tun?“
Die Bedeutung und Aktualität des Themas hat in den vergangenen Jahren zugenommen Elke Mack, Professorin für christliche Sozialwissenschaft und Sozialethik in Erfurt, stellte zu Beginn ihres Referats eindrücklich klar, dass nach wie vor „Millionen von Frauen und Mädchen in moderner Sklaverei leben“. Sie würden meist zu Zwecken der sexuellen Ausbeutung ge- und verkauft. Ihr eigener Wille werde durch physische und psychische Gewalt derart gebrochen, dass viele am Ende in ihren eigenen Missbrauch einwilligen. Es sei wichtig, Frauen, gerade in ärmeren Ländern, gezielt zu fördern, Bildungsangebote zu schaffen und Perspektiven zu bieten. In zahlreichen Studien sei belegt, dass es dadurch für Länder möglich wird sich weiter zu entwickeln und den Sprung aus der Armutsfalle zu schaffen.
„Sexualität“ und Prostitution voneinander trennen
Der Sexualwissenschaftler Professor Jakob Pastötter, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftlichen Sexualforschung, stellte an den Anfang seines Vortrages ganz grundlegende Gedanken, die durchaus für Verblüffung sorgten. Der Begriff „Sexualität“, so stellte er klar, sei ursprünglich ein geschaffener Kunstbegriff, den Psychiater eingeführt hätten, um in ihren Augen „unnormales“ Sexualverhalten zu beschreiben. Mittlerweile sei der Begriff aber so abstrakt und überstrapaziert, dass er häufig eher für Verwirrung als für Klarheit sorge. In Deutschland werden die komplexen Vorgänge rund um das Sexualverhalten oft auf den schlichten Zusammenhang „Sexualität ist Natürlich“ reduziert. Dazu komme dann noch die weit verbreitete Ansicht, dass alles Natürliche auch gut und förderungswürdig sei. Im Rückschluss bedeute dass, da Prostitution unter dem Überbegriff „Sexualität“ verortet sei, dass doch auch Prostitution eigentlich gut sei. Er konstatierte, dass es den Anschein habe, dass die sexuelle Revolution vor allem die ökonomische verwertbare Form – die Pornographie und die „Ware Frau“ – befreit habe. Diesen Fehler dürfe man in seinen Augen aber nicht machen und er riet dazu die Begriffe „Sexualität“ und „Prostitution“ im öffentlichen Diskurs zu trennen, da sie wenn überhaupt nur sehr geringe Schnittmengen miteinander hätten.
Das Thema nicht tabuisieren
Die ehemalige bayerische Sozialministerin Emilia Müller (CSU) referierte zur Rolle der Politik im Kampf gegen Frauenhandel. Es sei erschreckend, „dass der Handel mit Frauen und Kindern heutzutage für die Organisierte Kriminalität oft lukrativer ist, als der Drogen und Waffenhandel.“ Es sei von enormer Bedeutung – und dabei dankte sie auch den Veranstaltern der Fachtagung – das Thema nicht zu tabuisieren. Immer wieder sei ihr von unterschiedlicher Seite nahe gelegt worden, das Thema Menschenhandel nicht anzusprechen, weil es „ungeeignet“ sei, um Wahlen zu gewinnen. Doch dagegen habe sie sich stets verwehrt. Und auch in der Politik sei das Thema nicht verschwunden, denn das Prostituiertenschutzgesetz, das vergangenes Jahr in Kraft getreten ist, sei bereits ein erster Schritt in die richtige Richtung getan. Auch wenn sie es persönlich bedauere, dass es nicht, wie in anderen Ländern, auch in Deutschland ein tatsächliches Sexkaufverbot gebe, denn das würde tatsächlich fundamental etwas verändern und voranbringen.
„Was können wir tun?“
In vier Arbeitskreisen wurde intensiv über die Frage diskutiert: „Was können wir tun?“. Dabei wurden einzelne Initiativen und Möglichkeiten des Engagements vorgestellt. Für viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer war dabei klar, dass es ein generelles Umdenken brauche. In ihren Augen ist die weitgehende gesellschaftliche Akzeptanz von Prostitution auch ein gefährlicher Nährboden für Frauenhandel und Zwangsprostitution.
Berichte aus den einzelnen Workshops
- Workshop 1:
„Menschenhandel übers Internet“ Die digitalen Methoden der Menschenhändler“
Herr Volker Babl, Hauptkommissar beim Polizeipräsidium München, ermittelt im Bereich Menschenhandel. Anhand einiger Beispielfälle im osteuropäischen und nigerianischen Bereich und verschiedener Anwerbemethoden skizziert er die Ermittlungen im Bereich Menschenhandel. Neben den Methoden Frauen direkt anzusprechen (Arbeitsangebote, Loverboy Methode), versuchen Täter immer häufiger Frauen im Internet über Kontaktbörsen oder in Internet Chatrooms kennenzulernen. Herr Babl bezeichnete dies als „Angeln und Fischen“ im Internet. Auch die Anzahl von Frauen, die im Internet angeboten werden, hat sich enorm erhöht. Es gibt aber Schwierigkeiten das Internet zu überwachen oder darin effektiv zu ermitteln, dafür sind die personellen Ressourcen nicht vorhanden. Die Unterscheidung zwischen legalen und erzwungenen Prostitutionsangeboten ist im Internet kaum möglich. Dazu braucht man schon einen konkreten Anfangsverdacht.
Nach einer engagierten Diskussion im Workshop wurden von den Teilnehmer*innen einige wichtige Punkte im Kampf gegen Menschenhandel festgehalten, wie der Forderung nach mehr Spezialisten für Internetermittlungen, Schaffung von Ausstiegsmöglichkeiten aus der Prostitution und Zugang zu Sozialleistungen, aber auch den Frauen vor Ort im Heimatland Hilfe anbieten z.B. Ausbildung.
- Workshop 2:
Traumatherapie: (Zwangs-)Prostitution und die psychischen Folgen
Im 2. Themenforum stellte Rodica Knab, Gestalt- und Traumatherapeutin, sowie Mitarbeiterin von SOLWODI Augsburg, das Thema „Traumatherapie: (Zwangs-)Prostitution und die psychischen Folgen“ vor. Sie widersprach der noch verbreiteten Vorstellung von der überwiegenden „Freiwilligkeit“ von Prostitution in Deutschland. Mehr als 90 % der Prostituierten seine Ausländerinnen – in ihrem Augsburger Tätigkeitsbereich zu rund 80 % aus Rumänien, Bulgarien und Ungarn. Typischerweise handle es sich dabei um arme bzw. mittellose, junge und unerfahrene Frauen ohne deutsche Sprachkenntnisse. Alle hätten ähnliche Migrationsgeschichten, und keine prostituiere sich wirklich freiwillig.
Die Lebensrealität dieser Frauen in der Prostitution führe oft zu schweren Traumatisierungen, mit denen sie in ihrer Praxis zu tun habe – z. B. zu Angststörungen, Bindungs- und Persönlichkeitsstörungen. Rodica Knab illustrierte dies alles durch ein Fallbeispiel eines 16jährigen rumänischen Mädchens, das sie in der Traumatherapie begleiten konnte.
Die Teilnehmer/innen des Themenforums stellten fest, dass der aufgezeigte dramatische Befund nicht dem verharmlosenden Bild von Prostitution in unserer Gesellschaft entspreche. Daher seien Aufklärung und die Schaffung von mehr Problembewusstsein dringend nötig. Das könne jede/r an ihrem/seinem Platz bzw. in ihrer/seiner jeweiligen Funktion oder Verantwortlichkeit tun.
Ein ganz konkreter Vorschlag war: Mit dem Taxifahrer über die Problematik sprechen! Denn Taxifahrer beförderten sich auch Freier auf dem Weg zu Prostituierten. Eine weitere Idee, was man tun könne, war: Da Fachberatungsstellen wie SOLWODI viel zu wenig personelle Ressourcen für die Betreuung traumatisierter Frauen hätten, müsste jede/r Tagungsteilnehmer auf ihr oder ihm bekannte Politiker/innen einwirken, damit die finanzielle Ausstattung der Beratungsstellen deutlich verbessert werde.
Schließlich solle jede und jeder die erworbenen Erkenntnisse aus der aktuellen Tagung, den Vorträgen, Diskussionen und Gesprächen am Rande, mit hinaus nehmen und im persönlichen wie beruflichen Umfeld weitergeben.
Rodica Knab abschließend: „Wir wollen die große Gewalt nicht, dann dürfen wir die kleine Gewalt nicht akzeptieren.“ Dies war natürlich auf die vielen traumatisierenden Gewalttätigkeiten gemünzt, die sich im Rotlichtmilieu abspielen. Letztlich könne es aber auch schon auf unseren oft unachtsamen oder nicht empathischen Umgang miteinander im eigenen Alltag bezogen werden.
- Workshop 3:
„Ware Frau“: Die gesellschaftliche Aktzeptanz von Prositution und die Folgen
Der Workshop von Prof. Dr. Pastötter begann zunächst mit vielen Fragen, die dafür sensibilisieren sollten, wie wenig verlässliche Informationen und auf welcher Grundlage, das Themenfeld Prostitution oft behandelt wird.
Die Zahl der Prostituierten in Deutschland? – Es wurde deutlich, dass es eigentlich keine verlässlichen Zahlen gibt, sondern von unterschiedlichen Organisationen seit ca. 20 Jahren immer gleiche Schätzung angebracht werden. Allerdings ohne dass diese in irgendeiner Weise fundiert überprüfbar sind. Auch die Frage, was genau ist denn eine Prostituierte, war alles andere als leicht zu beantworten. Die Definition ist nicht klar – gehören auch die Gelegenheitsprostituierten mit dazu, Dominas,…
Danach veranschaulichte Pastötter nochmals in welchem Milieu sich Prostitution in der Regel abspielt: Kriminalität (in Verbindung mit Drogen, Waffen…), zum Teil auch Organisierte Kriminalität, illegale und gewaltbereite Motorclubs (Bandidos, Hells Angels…). Ihm war es wichtig deutlich zu machen, dass es dabei meist nicht um Sexualität geht, sondern um Ausbeutung und Gewinnmaximierung.
In einem weiteren Schritt wurde in vier Kleingruppen Fragen und Begriffe versucht neu anzuschauen – Was macht der Begriff mit mir? Ist er nützlich? Zielführend? – um in Diskussionen neue Aspekte aufzeigen zu können und auch die Widersprüchlichkeit mancher Diskussionen in diesem Bereich. Dabei wurde u.a. über das „Elitenkonstrukt – Sexarbeit”, über die Begriffe “Arbeit”, “Sklaverei”, “Dienstleistung” diskutiert und über die Frage nach der Ausbildung: Wenn Prostitution “ein Beruf wie jeder andere” ist, warum haben wir dann keine Ausbildung zur Prostituierten”?
Die Ergebnisse / Schlussfolgerungen der Arbeit in den Kleingruppen wurden dann in der Workshop-Gruppe vorgetragen. Alle Teilnehmer waren erstaunt über die neuen Sichtweisen, die durch diese Art der Beschäftigung mit der Thematik deutlich wurden.
- Workshop 4:
„Ich bin kein Freier“: Ziele, Möglichkeiten und ergebnisse einer aktuellen PR-Kampagne gegen Prostitution
In dem Workshop stellen Justyna Koeke und Helena Dadakou die gemeinsame Kampagne „Ich bin kein Freier“ vor. Ziel der Kampagne ist es, dass bisherige Rollenverständnis von Prostitution aufzubrechen. Männer werden in der öffentlichen Debatte, meist als Profiteure wahrgenommen – also als Bordellbetreiber und Zuhälter. Oder sie werden als Sexkäufer befragt. Die Frage hinter der Kampagne ist: Gibt es in Deutschland denn gar so wenige Männer, die ganz selbstbewusst sagen: Ich bin kein Freier?
Die Kampagne hat zum Ziel möglichst viele Videostatements von Männer zu bekommen, die selbstbewusst sage, dass Prostitution für sie nicht in Frage kommt.
Weitere Informationen zu der Kampagne und Videos gibt es unter: www.emma.de/artikel/ich-bin-kein-freier-335057