Berichterstattung zur Fachtagung:
„Stopp dem Frauenhandel! Brennpunkt Osteuropa“
Die junge Frau ist nur verschwommen zu erkennen – mal sieht man nur die Hände, mal nur den Kragen ihrer Jacke – sie erzählt, wie sie als Kind nach Deutschland gebracht wurde. Sie erzählt, wie sie anfänglich überhaupt nicht wusste, warum sie hier sei, bis sie dann die Kondome gesehen hätte, und wie die Zuhälter ihr dann erzählten, dass sie damit Geld verdienen müsse – viel Geld. Es ist eine von vielen schockierenden Erinnerungen aus einer Filmdokumentation mit denen die rund 100 Teilnehmer/innen der Fachtagung „Stopp dem Frauenhandel! Brennpunkt Osteuropa!“ direkt ins Thema hinein geführt wurden. Klaus Wölfle, Redakteur beim Bayerischen Rundfunk, der sich mit dem Thema Frauenhandel schon seit Jahren auseinandersetzt, hatte den Filmbeitrag unter dem Titel „Verkauft, Verschleppt, Missbraucht“ eigens für die Fachtagung zusammengeschnitten. Besonders deutlich wurde, dass es um Verbrechen geht, die nicht weit entfernt in anderen Ländern geschehen, sondern hier auf deutschen Straßen und in deutschen Städten.
Die Brisanz hat in den vergangenen Jahren noch zugenommen
Eigentlich sei es traurig, dass man sich zu diesem Thema immer wieder treffen müsse, aber es sei dringend notwendig, begrüßte Prof. Ursula Männle, Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung, die Teilnehmenden im Konferenzzentrum der Stiftung in München. Vor genau zehn Jahren hatten das katholische Osteuropa-Hilfswerk Renovabis, die Hanns-Seidel-Stiftung und das Aktionsbündnis gegen Frauenhandel zum ersten Mal eine gemeinsame Fachtagung zum Thema Frauenhandel und Zwangsprostitution veranstaltet – ebenfalls mit dem Schwerpunkt Osteuropa.
Die erfreulichen Jubiläen, die derzeit gefeiert würden – 25 Jahre Fall des Eisernen Vorhangs und 10 Jahre EU-Osterweiterung – hätten, so Renovabis-Geschäftsführer Burkhard Haneke, auch eine Schattenseite; nämlich die Armutsmigration von Ost nach West, in deren Kontext auch die organisierte Kriminalität, Menschenhandel und Zwangsprostitution blühten.
Die Brisanz der Region Osteuropa für das Thema hat in den vergangenen Jahren eher noch zugenommen. Im Jahr 2003 seien acht Prostituierte aus Rumänien in München erfasst gewesen, zehn Jahre später seien es 657 Prosituierte, sagte Uwe Dörnhöfer, 1. Kriminalhauptkommissar im Polizeipräsidium München. In München sei der Anteil von ausländischen Frauen im Bereich der Prostitution gar von 10 Prozent auf rund 90 Prozent in den vergangenen 20 Jahren gestiegen. Diese Veränderungen im Milieu hätten auch die Polizei vor neue Herausforderungen gestellt. So seien Sprachprobleme bei Kontrollen vor Ort ein Hindernis, um Opfer von Frauenhandel auszumachen, aber auch der Altersunterschied zwischen Ermittlern und Prostituierten habe nochmal deutlich zugenommen, da immer mehr jüngere Prostituierte anzutreffen seien. Zu den sprachlichen Verständigungsproblemen, sagte Dörnhöfer, kämen dann auch noch kulturell- und altersbedingte.
„Die Opferzahlen haben sich in den letzten 10 Jahren verdoppelt.“
Auch die Anforderungen im Rahmen der Beratungstätigkeit wandelten sich zusehends, erklärten Monika Cissek-Evans von JADWIGA und Soni Unterreithmeier von Solwodi. Beide Referentinnen machten deutlich, dass die Rechte der Opfer gestärkt werden müssen und ein gesicherter Aufenthaltstitel für sie unverzichtbar sei. „Die Opferzahlen haben sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt“, sagte Cissek-Evans, zudem sei „in den letzten zehn Jahren zu beobachten, dass der körperliche und psychische Zustand der Opfer von Menschenhandel tendenziell schlechter geworden ist, wenn sie in unsere Betreuung gelangen.“ Zentrale Forderungen waren die Stärkung der Opferrechte, leichterer Zugang zu Therapien für traumatisierrte Opfer, Gewährleistung eines gesicherten Aufenthaltstitels, eine geeignete Schutzunterbringung und eine bundesweite Zusammenarbeit um diesen Schutz zu garantieren.
Die „Ware Mensch“ wird wie eine Zitrone ausgepresst
Der bayerische Justizminister Dr. Winfried Bausback (CSU) ging in seinem Vortrag auf die Bekämpfung von Frauenhandel als Herausforderung für die Justizpolitik ein. Eine der zentralen Schwierigkeiten sei der konkrete Tatnachweis. Meist gelinge dies nur über Opferzeuginnen, aber es sei schwierig, diese zur Aussage zu bewegen. Die Täter setzten die Opfer oft physisch und psychisch derart unter Druck, dass diese für eine Aussage zu eingeschüchtert seien. „Mit der erforderlichen Rücksichtslosigkeit und Brutalität wird die ‚Ware Mensch‘ zum eigenen Nutzen wie eine Zitrone ausgepresst“, so der Justizminister. Bausback plädierte für ein schlagkräftiges Instrumentarium zur Verfolgung der Täter und sprach sich für die Möglichkeit zur Telekommunikationsüberwachung in Fällen der Zuhälterei aus. Dadurch könne man schlagkräftige Beweise sammeln und wäre nicht mehr allein auf die Opferaussage angewiesen. Bausback sprach sich wie viele andere Referenten auch für die Überarbeitung des Prostitutionsgesetzes und für eine enge behördliche Überwachung und Regulierung der Prostitution aus. Darüber hinaus sei es für ihn unerträglich, dass sich nach geltendem Strafrecht „Freier“, die die Dienste von Menschenhandelsopfern in Anspruch nehmen, in aller Regel nicht strafbar machten. „Das gilt selbst dann, wenn mit Händen zu greifen ist, dass es sich bei den Frauen um Opfer skrupelloser Krimineller handelt“, so Bausback.
„Macht doch mal eure Gesetze so, dass ihr es den Tätern nicht so leicht macht.“
Einen Einblick in die konkrete Projektarbeit der Hanns-Seidel-Stiftung bot dann die Vorsitzende Prof. Ursula Männle. Anfänglich sei es sehr schwer gewesen, gemeinsame Projekte mit den östlichen Nachbarn zu realisieren. „Auf nationaler Ebene wurde eigentlich alles mit dem Hinweis abgeblockt, dass es solche Probleme in dem jeweiligen Land angeblich gar nicht gebe“, so Männle. Die Vielfalt der zivilgesellschaftlichen Akteure sei auch zu wenig ausgeprägt gewesen, um hier etwas voranzutreiben. Man musste sich anfänglich auf die Zusammenarbeit auf einer ganz praktischen Ebene beschränken. Erst nach und nach sei dann das Thema stärker in den Fokus gerückt. Mittlerweile habe sich die Situation in den osteuropäischen Ländern dahingehend verändert, dass das Problem zumindest nicht mehr geleugnet werde. Es sei klar geworden, dass hier nicht nur einzelne Menschen, sondern auch die Gesellschaft als Ganze schwer geschädigt wird. Aber nicht nur in Bezug auf ihre eigene Situation haben sich die Ländern entwickelt, erzählte Männle, in den vergangenen Jahren seien immer öfter Stimmen zu hören gewesen, die auch Deutschland in den Blick genommen und gefordert hätten: „Macht doch mal eure Gesetze so, dass ihr es den Tätern nicht so leicht macht.“
„Es wird geleugnet, geschwiegen und gelogen“
Über die Situation im deutsch-tschechischen Grenzgebiet sprach Cathrin Schauer von Karo e.V. Der 1994 gegründete Verein setzt sich gegen Zwangsprostitution, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Kindern ein. Ihre schonungslosen Schilderungen über die brutalen und menschenverachtenden Methoden der Zuhälter machten deutlich, dass es nicht um ein zwischenstaatliches Grenzproblem geht, sondern um ganz konkrete schwerwiegende Verbrechen gegen einzelne Menschen. „Es geht um Frauen und Mädchen, die jahrelang zur Prostitution gezwungen werden. Wir wollen dort helfen, wo der Staat versagt oder nicht handeln will. Und wir wollen helfen und zu den Opfern gehen und nicht darauf warten, bis sie zu uns kommen“, erklärte Schauer ihre Arbeit. Es sei manchmal nur schwer auszuhalten, denn es werde „viel zu oft geleugnet, geschwiegen und gelogen und viel zu oft werden die bestraft, die nicht geschwiegen haben.“
„Eine Schande für unsere Gesellschaften, die sich zivilisiert nennen“
Über die Stimme der Kirche referierte Bettina Nickel, stellvertretende Leiterin des Katholischen Büros Bayern. Bereits in den Texten des Zweiten Vatikanums befinden sich Textstellen, die den Frauenhandel als „Schande“ bezeichnen, führte Nickel aus. Die Situation in Deutschland nach dem Prostitutionsgesetz hätte Papst Benedikt ebenfalls scharf kritisiert und als „schweres Vergehen gegen die Menschlichkeit“ gebrandmarkt. Auch Papst Franziskus hat sich des Themas bereits angenommen und nannte den Menschenhandel „eine Schande für unsere Gesellschaften, die sich zivilisiert nennen.“ Neben der eindeutigen Positionierung sei die Kirche in Deutschland im vergangenen Jahr durchaus mit erhöhter Sensibilität an das Thema herangegangen. Auf der Jahrestagung „Weltkirche und Mission“ die sich mit dem Thema Menschenhandel befasste sei auch gefragt worden, ob wir selbst den genügend tun würden. Die besondere Verantwortung unserer Gesellschaft rühre daher, dass ein großer Teil dieser menschenverachtenden Straftaten hierzulande begangen werden, und dass die Opfer einen Anspruch auf Schutz und Gerechtigkeit hätten.
Von Simon Korbella, Renovabis
Vorträge und Redemanuskripte
- Redemanuskript von Prof. Dr. Winfried Bausback
- Redemanuskript von Soni Unterreithmeier, Solwodi
- Redemanuskript von Cathrin Schauer, Geschäftsführerin Karo e.V.
- Redemanuskript von Monika Cissek-Evans, Jadwiga
- Präsentation von Ursula Gräfin Praschma, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
- Schlusswort von Monika Cissek-Evans, Jadwiga
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