„Männersache Frauenhandel – Freier, Täter, Jedermänner“
Ort: Augsburg, Datum: 8. März 2006
Aus der Einladung zur Fachtagung
Die Rolle, die Männer bei Prostitution und Menschenhandel spielen, wird selten thematisiert. Mit ihrem Handeln schaffen sie aber erst ein Umfeld, in dem Ausbeutung, Gewalt und Entwürdigung gedeihen. Jeder Freier muss sich im Klaren sein, dass er mit seiner Nachfrage nach käuflichem Sex genau den Markt schafft, der sich ohne Skrupel des Menschenhandels bedient. Doch Freier können Verantwortung zeigen, indem sie der Gewalt im Milieu entgegen treten und zum Beispiel bei Verdacht auf Menschenhandel eine Beratungsstelle oder die Polizei informieren.
Männer spielen unterschiedliche, aber entscheidende Rollen im Sexgeschäft: als Freier bestimmen sie den Markt; als Zuhälter oder Sex-Manager organisieren und beherrschen sie das Geschäft; als Polizisten und Juristen beschäftigen sie sich mit den rechtlichen Regelungen. Bewusstseinsbildung tut Not: Prostitution existiert so lange, wie es nicht gelingt, Frauen- und Männerbilder zu überwinden, die die Kommerzialisierung von Sexualität fördern. Dazu ist eine umfassende Sexualerziehung notwendig, die vor allem auch die Jungen einbezieht. Gerade sie brauchen das Leitbild einer männlichen Sexualität, die von Achtsamkeit und persönlicher Beziehung bestimmt ist.
2006: Freierbestrafung – Ja oder Nein?
Prof. Dr. Joachim Renzikowski, Lehrstuhl für Strafrecht, Universität Halle
Tagungsbeitrag herunterladen
2006 Prof. Dr. Joachim Renzikowski: Freierbestrafung – Ja oder Nein?
1. Der Freier, das unbekannte Wesen – auch im Strafrecht
Obwohl nach Schätzungen mindestens ein Drittel der männlichen Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland schon einmal die sexuellen Dienste der etwa 200.000 Prostituierten in Anspruch genommen hat, ist über „den Freier“, wie der Konsument euphemistisch genannt wird, kaum etwas bekannt. Empirische Breitbanduntersuchungen – Fehlanzeige! Vielleicht ist das kein Wunder, denn auch das Recht, namentlich das Strafrecht, interessiert sich bislang für „den Freier“ nicht: der Freier, das unbekannte Wesen.
Nun könnte man darauf verweisen, dass die Ausübung der Prostitution unabhängig von der wechselnden rechtlichen Bewertung in Deutschland seit jeher grundsätzlich straflos ist. Ebenfalls straflos ist folglich seit jeher die Nachfrage. Das ist jedoch nicht die ganze Wahrheit. Denn nach §§ 184 d, 184 e StGB werden Prostituierte dann strafrechtlich verfolgt, wenn sie ihrem Gewerbe an verbotenen Orten nachgehen. Der Sperrbezirk soll hier als Beispiel für viele Regulierungen der Prostitution dienen, die es mehr oder weniger auch schon immer gegeben hat. Aber während die Prostituierte sich strafbar macht, gilt für den Freier bis heute die Feststellung der Preußischen Untersuchenden Kommission aus dem Jahr 1799, dass eine Mannsperson nicht verpflichtet sei, die konsultierte Hure auf ihre Concession zu untersuchen. Heute nennt man das „notwendige Beteiligung“; das Ergebnis – Straflosigkeit des Freiers – ist dasselbe.
Diese Zurückhaltung versteht sich durchaus nicht von selbst. Andere Rechtsordnungen, z. B. in vielen Bundesstaaten der USA, die sich für eine prohibitive Kriminalisierung der Prostitution entschieden haben, ziehen korrespondierend auch die Freier zur Verantwortung. In Europa hat etwa Schweden eine Vorreiterrolle bei dem Versuch unternommen, die Prostitution durch eine umfassende Strafverfolgung der Freier zu bekämpfen, während die Prostituierten selbst als Opfer angesehen werden. Die Diskussion, ob auch in Deutschland Freier bestraft werden sollten, ist relativ neu. Sie wird erst im Zusammenhang mit der Reform der Menschenhandelsdelikte im Jahr 2004 von der Politik echt, Universität Halle geführt. Im Folgenden werde ich zeigen, warum man die Freier von Zwangsprostituierten bestrafen und diese Forderung gegen Einwände verteidigen sollte. Abschließend möchte ich noch kurz zur Umsetzung dieser Forderung Stellung nehmen.
2. Plädoyer für die Bestrafung der Freier von Zwangsprostituierten
Die rechtspolitischen Anstöße – vor allem der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag und des Freistaates Bayern im Bundesrat – beschränken sich zu Recht auf die Bestrafung der Nachfrage nach Zwangsprostituierten. Eine Übernahme des schwedischen Modells wird nicht erwogen. Zwar wird es auf der Ebene der Europäischen Union von vielen Frauenrechtsorganisationen unter Berufung auf die bewusstseinsbildende Kraft des Strafrechts favorisiert. Ganz abgesehen davon, dass man über diese Vorstellung streiten kann, sprechen zwei Gründe dagegen: Es ist äußerst zweifelhaft, ob das schwedische Modell tatsächlich die Prostitution eingedämmt hat. Eher scheint es die Prostitution in den Untergrund gedrängt und damit schwerer kontrollierbar gemacht zu haben. Zweitens unterstellt der EuGH die selbstständig ausgeübte Prostitution der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nach Art. 52 EGV. Wie damit eine umfassende Strafverfolgung der Freier vereinbar sein soll, sehe ich nicht.
Damit entfällt zugleich ein Einwand, der gegen eine Strafverfolgung der Freier vorgebracht wird. Man dürfe nicht das Rad wieder zurückdrehen, nachdem man endlich die Prostitution legalisiert habe. Ein Widerspruch zum Prostitutionsgesetz besteht jedoch nicht, im Gegenteil! Es geht nicht um rechtliche Freiräume für selbstständig ausgeübte Prostitution, sondern um den Schutz von Zwangsprostituierten. Wer unter falschen Vorwänden in die Bundesrepublik gelockt und mit üblen Drohungen zur Prostitution genötigt wird, wer von dubiosen Heiratsvermittlern „zur Probe“ angeboten wird, ist kein Adressat der Rechtswohltaten des Prostitutionsgesetzes. Wenn dem Prostitutionsgesetz nicht ganz zu Unrecht vorgeworfen wird, es mache die Prostitution erst salonfähig, dann ist ein Kontrapunkt geboten: Zwangsprostitution ist nicht chic!
Die Entwicklung der rechtlichen Beurteilung der Prostitution einerseits und des Frauenhandels andererseits weisen auf einen gemeinsamen Schnittpunkt hin, die Entdeckung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung. Die rechtliche Zurückhaltung gegenüber der freiwillig ausgeübten Prostitution ist Ausdruck eines freiheitlichen Rechtsverständnisses, wonach es nicht die Aufgabe eines am Rechtsgüterschutz orientierten Strafrechts ist, moralische Verhaltensstandards durchzusetzen oder Menschen vor den Folgen ihrer Lebensentscheidungen zu bewahren, die sie in freier Selbstverantwortung getroffen haben. Gegenüber der Zwangsprostitution ist dagegen ein umfassender Strafrechtsschutz geboten.
Damit ist das maßgebliche Rechtsgut einer entsprechenden Strafvorschrift benannt. Freier von Zwangsprostituierten suchen den Sexualkontakt gegen den Willen des Opfers und verletzen damit seine sexuelle Selbstbestimmung. An der Strafwürdigkeit der Freier besteht kein Zweifel: Sie sind die wahren sexuellen Ausbeuter. Ausbeuten heißt jemanden zum eigenen Vorteil ausnutzen. Kennzeichnend für ein Ausbeutungsverhältnis ist die Behandlung des Ausgebeuteten als Objekt. Der Vorteil des Ausbeuters liegt in dem Nutzen, den er aus der Verletzung der Menschenwürde des Opfers zieht, ein Vorteil, den er nicht erlangen würde, wenn er das Opfer als Person respektieren würde. In diesem Sinne fordert auch Art. 18 der Europaratskonvention Nr. 197 „on action against trafficking in human beings“ vom 16. 5. 2005 eine Bestrafung derjenigen, die wissentlich die Dienste von Menschenhandelsopfern nachfragen – als Menschenrechtsverletzung.
Wie einschlägige Ermittlungsverfahren gezeigt haben, besteht eine entsprechende Strafbarkeitslücke. Die Freier machen sich nicht wegen Teilnahme am Menschenhandel strafbar, wenn sie die Dienste einer Zwangsprostituierten nachfragen. Die Schwelle zur Strafbarkeit wird erst dann überschritten, wenn die Teilnahme auf das Einwirken selbst abzielt, etwa wenn ein Stammkunde bei seinem Zuhälter exotischen „Nachschub“ bestellt oder wenn jemand in die für die Unterdrückung maßgeblichen Strukturen eingebunden ist. § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB greift ebenfalls nicht ein. Zwar befinden sich Zwangsprostituierte häufig in der vom Gesetz bezeichneten „schutzlosen Lage“, weil sie sich den Sexualkontakten nicht entziehen können. Darüber hinaus ist aber erforderlich, dass der Wille des Opfers in dem Sinn gebeugt wird, dass es nur deshalb die sexuellen Handlungen duldet, weil es Widerstand gegen den Täter für aussichtslos hält. Die Bedrohungskulisse wird regelmäßig durch den Zuhälter und nicht durch den Freier geschaffen und aufrecht erhalten. In Betracht kommen schließlich die Körperverletzungsdelikte (§§ 223 ff. StGB). Eine Penetration kann – was nicht unumstritten ist – als Eingriff in die körperliche Unversehrtheit angesehen werden. Dieser Eingriff bedarf der Zustimmung durch das Opfer, woran es bei Zwangsprostituierten per definitionem gerade fehlt. Bei den §§ 223 ff. StGB handelt es sich aber gewissermaßen um die „falsche Adresse“, weil sie ein anderes Rechtsgut, nämlich die körperliche Unversehrtheit schützen, und nicht das spezifische Unrecht der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung beschreiben.
3. Einwände
Die Forderung nach einer Bestrafung der Freier von Zwangsprostituierten muss mit verschiedenen Einwänden rechnen, die letztlich jedoch nicht durchschlagen. Zunächst wird die Strafwürdigkeit des Freiers bestritten, wenn er den Willen des Opfers nicht aktiv beeinflusst. Anders gewendet: Entweder macht sich der Freier nach § 177 StGB wegen sexueller Nötigung bzw. Vergewaltigung strafbar oder sein Verhalten ist nicht zu missbilligen. Dieser Einwand verkennt, dass das Sexualstrafrecht Straftatbestände enthält, die keine Willensbeeinflussung voraussetzen. Wer sich an einem schlafenden Opfer vergeht oder wer einen Zustand völliger Erschöpfung nach mehrfacher Vergewaltigung ausnutzt, wird wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person (§ 179 StGB) bestraft.
Ernster zu nehmen ist ein zweiter Einwand. Eine Strafvorschrift gegen die Freier solle lediglich der moralischen Empörung Rechnung tragen. In Wirklichkeit scheitere die Bestrafung an der mangelnden Nachweisbarkeit. Regelmäßig werde sich ein Beschuldigter damit einlassen, er habe selbstverständlich angenommen, dass die betroffene Frau freiwillig die Prostitution ausübe. Wie soll diese Einlassung widerlegt werden können, wenn es selbst für Polizeibeamte und Mitarbeiter von Fachberatungsstellen häufig sehr schwierig ist, ein Opfer von Menschenhandel zu identifizieren, solange es sich nicht selbst zu erkennen gibt?
Damit verbunden ist der Vorwurf des „symbolischen Strafrechts“. Kennzeichen „symbolischen Strafrechts“ sind der mangelnde Rechtsgutsbezug sowie die Verschleierung mangelnder Effizienz. Ein Straftatbestand gegen die Nachfrage nach Zwangs prostituierten wäre also nur ein propagandistischer „Bluff“, um die Gemüter zu beruhigen.
Dieser Kritik ist zuzugestehen, dass es einen fließenden Übergang zwischen freiwillig und zwangsweise ausgeübter Prostitution gibt. Klare Unterscheidungskriterien wären zwar grundsätzlich möglich, etwa in der Art der obrigkeitlich lizenzierten Bordelle des Mittelalters und der Neuzeit. Auch wenn sie politisch kaum durchsetzbar sein dürften, sollte man sich doch vor vorschnellen Denkverboten hüten. Dem Gewerberecht und damit der Gewerbekontrolle unterliegende Etablissements böten immerhin die Chance, dass der kriminelle Zuhälter vom Schlage eines Mackie Messer aus der Szene verschwindet – weil er nicht mehr gebraucht wird. Wie auch immer: Es sind Fälle bekannt, in denen Zwangsprostituierte nach langer Leidenszeit den Mut gefasst hatten, sich Freiern zu offenbaren. Es gibt ferner Indizien wie vergitterte Fenster, abgeschlossene Türen und insbesondere der deutschen Sprache völlig unkundige Prostituierte, die auf Zwangsprostitution hinweisen.
Nicht selten suchen Freier bewusst Zwangsprostituierte auf, etwa um sexuelle Phantasien auszuleben, zu denen sich eine „Professionelle“ nie hingeben würde. Der Schluss von äußerlichen Feststellungen auf den Vorsatz ist im Strafrecht weder unüblich noch unzulässig. Schließlich haben Beweisprobleme – die im Sexualstrafrecht übrigens typisch sind – den Gesetzgeber auch nicht davon abgehalten, etwa die Vergewaltigung in der Ehe in § 177 StGB mit einzubeziehen. Gegen ein Strafrecht, das Zeichen setzt, ist dann nichts einzuwenden, wenn es – wie hier – aus der Funktion des Rechtsgüterschutzes heraus begründet werden kann. Wenn der gedankenlose Freier, der unkomplizierten Sex sucht, derzeit – noch – die Realität ist, erscheint das Strafrecht durchaus dazu geeignet, ihn an seine Verantwortung zu gemahnen.
Schließlich wird vorgetragen, dass ein Rückgang des Menschenhandels nicht zu erwarten sei. Vielmehr sei ein Verdrängungseffekt zu befürchten, der die Strafverfolgung erschwert und damit letztlich auch den Opfern mehr schadet als nützt. Auch daran ist richtig, dass Gesetze allein die Täter nicht beeindrucken. Menschenhandel ist ein Kontrolldelikt und wird es auch bleiben. Das bedeutet, dass die Straftaten kaum von Dritten oder den Opfern angezeigt werden, sondern dass eine verstärkte Überwachung der Bordelle durch die Polizei sowie Razzien erforderlich sind. Die schönsten Kooperationsmodelle zwischen der Polizei, den Beratungsstellen und den Behörden taugen nicht viel, wenn wegen begrenzter Ressourcen keine Razzien durchgeführt werden. Das ist aber kein ernsthafter E bereits jetzt strafbar machen, wenn sie Zwangsprostituierte ausbeuten. Menschenhandel spielt sich schon seit jeher im Dunkeln ab. Dass die anzeigewilligen Freier verschreckt würden, ist kaum zu erwarten. Terre des femmes hat im Jahr 1999 eine aufwändige Kampagne durchgeführt, um Freier für Zwangsprostitution zu sensibilisieren. Innerhalb eines Monats gingen ganze drei Hinweise auf Frauenhandel ein, die sich sämtlich nicht bestätigten. Das spricht nicht gegen derartige Aktionen. Aber daraus lässt sich kein Argument gegen die Freierbestrafung schmieden.
4. Umsetzung
Eine Strafvorschrift gegen die Freier von Zwangsprostituierten gehört ins Sexualstrafrecht, denn das geschützte Rechtsgut ist die sexuelle Selbstbestimmung. Das spricht gegen den Vorschlag eines Straftatbestandes „Sexueller Missbrauch von Menschenhandelsopfern“ im Anschluss an § 232 StGB. Schon die Verschiebung des Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in den 18. Abschnitt, die allgemeinen Freiheitsdelikte, ist ein Fehler des 37. Strafrechtsänderungsgesetzes, der nicht vertieft werden sollte.
Bei der Gelegenheit bietet sich an, einen Wertungswiderspruch beim Schutz minderjähriger Prostituierter aufzulösen. Nach dem bisherigen Recht sind zwar das Bestimmen eines Jugendlichen und das Vorschubleisten zur Prostitution strafbar (§ 180 Abs. 2 StGB), eigene entgeltliche Sexualkontakte des Täters aber nur mit Opfern, die jünger als 16 Jahre sind (§ 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Kurz: Wer seinem Kumpel eine 17-jährige Prostituierte „spendiert“, wird bestraft. Wenn er selbst „Hand anlegt“, geht er straflos aus. Dieser Wertungswiderspruch könnte durch eine Strafvorschrift beseitigt werden, die in Anlehnung an § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB sexuelle Handlungen unter Ausnutzung einer Zwangslage pönalisiert, aber unabhängig von einer Altersgrenze. Gleichzeitig muss das Schutzalter in § 182 Abs. 1 StGB für das Verbot entgeltlicher Sexualkontakte auf 18 Jahre – wenn man im Hinblick auf § 232 Abs. 1 S. 2 StGB konsequent bleiben will, sogar auf 21 Jahre – angehoben werden. Eine Schutzaltersgrenze von 18 Jahren für die Inanspruchnahme sexueller Dienste von Prostituierten ergibt sich ohnehin aus verschiedenen völker- und europarechtlichen Dokumenten, deren Umsetzung längst überfällig ist. Zu nennen wären die „Worst Forms of Child Labour Convention“ der International Labour Organization vom 17. 6. 1999, das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend den Verkauf von Kindern, die Kinderprostitution und die Kinderpornographie der Vereinten Nationen vom 25. 5. 2002 sowie der Rahmenbeschluss des Rates der EU zur Bekämpfung der sexuellen Ausbeutung von Kindern und der Kinderpornographie.
Zur bisherigen rechtspolitischen Diskussion noch zwei kritische Anmerkungen. Der erste Kritikpunkt betrifft ein technisches Detail. So wird vorgeschlagen, dass sich strafbar macht, „wer die durch eine rechtswidrige Tat nach § 232 geschaffene Lage des Opfers eines Menschenhandels (…) missbraucht“. Ich halte eine Anbindung der Tatbestandsformulierungen den Tatbestand gegen den Menschenhandel aus drei Gründen für fragwürdig. In vielen Fällen werden die Opfer von den Menschenhändlern in die dort beschriebene Zwangslage oder auslandsspezifische Hilflosigkeit gebracht. Das ist jedoch nicht zwingend. § 232 Abs. 1 S. 1 StGB erfasst schon das Ausnutzen einer bereits vorhandenen Zwangslage. Beispiel: Es wird berichtet, dass Freier, die sich in der Drogenszene bedienen, den Preis dadurch drücken, indem sie sich Opfer aussuchen, die auf Entzug sind, und dann solange warten, bis die Betroffenen wegen des großen Druckes mit fast allem einverstanden sind. Dieses strafwürdige Verhalten wird von der vorgeschlagenen Formulierung ohne sachlichen Grund ausgeblendet. Zweitens setzt die Strafbarkeit Vorsatz voraus. Der Freier muss also die rechtswidrige Tat kennen. Das führt nicht nur dazu, dass die Vorschrift in der Praxis kaum angewendet werden dürfte. Vielmehr ist doch der entscheidende Grund, dass jemand weiß, dass sich das Opfer in einer Situation befindet, in der es sich sexuellem Ansinnen nicht entziehen kann. Aber es kann doch nicht darauf ankommen, dass jemand weiß, auf welche Weise das Opfer in diese Situation geraten ist. Drittens versagt die vorgeschlagene Formulierung beim Minderjährigenschutz. Personen unter 21 Jahren werden von § 232 Abs. 1 S. 2 StGB vor sexueller Ausbeutung geschützt, unabhängig davon, in welcher Lage sie sich befinden. Die Einschränkung ihrer Fähigkeit zu sexueller Selbstbestimmung wird gleichsam unwiderleglich vermutet. Das Alter einer Person ist keine Lage, die schon gar nicht rechtswidrig geschaffen wurde. Denkbar bleibt die Anknüpfung an die sexuelle Ausbeutung, die jedoch vom Gesetz nicht näher definiert wird. Das ist problematisch unter dem Gesichtspunkt der Gesetzesbestimmtheit. Versteht man die Ausbeutung wirtschaftlich, was die Gesetzesbegründung und die Parallele zu § 233 StGB nahe legen, so müsste der Freier die Einzelheiten der Beziehung zwischen der Prostituierten und ihrem Zuhälter kennen. Das ist unrealistisch. Im Übrigen: Wie hoch soll ein fairer Preis für eine 15-jährige Prostituierte liegen?
Um die Effektivität der Strafvorschrift zu steigern, wird ferner ein eigener Leichtfertigkeitstatbestand vorgeschlagen. Das Sexualstrafrecht enthält jedoch bislang aus guten Gründen keine Strafvorschriften gegen eine fahrlässige Verletzung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts. Angesichts der Grauzone zwischen zulässiger und verbotener Prostitution ist ein Fahrlässigkeitstatbestand auch nicht angebracht. Der Hinweis auf die Strafbarkeit der leichtfertigen Geldwäsche nach § 261 Abs. 5 StGB verfängt demgegenüber nicht. Angesichts der generellen Kritik an § 261 StGB ist die Parallele fragwürdig, zumal die Rechtsgüter nicht ohne weiteres vergleichbar sind. § 261 StGB bezweckt neben der Aufdeckung der Strukturen der organisierten Kriminalität die Beseitigung von Anreizen für die Entstehung organisierter Kriminalität. Demgegenüber soll ein Tatbestand gegen den sexuellen Missbrauch von Zwangsprostituierten nicht zuvörderst demonstrieren, dass sich Menschenhandel nicht lohnt, sondern er beschreibt – anders als die Anschlussdelikte – eine originäre Rechtsgutsverletzung. Sieht man von diesem Einwand ab, so ist es ferner ungereimt, die Strafbarkeit der Anschlusstat auf Leichtfertigkeit auszudehnen, wenn die Vortat nach § 232 StGB nur vorsätzlich begangen werden kann. Zuletzt wird der Gewinn an Effizienz nur vorgetäuscht. Auch die Annahme von Leichtfertigkeit setzt nämlich voraus, dass die objektiven Anzeichen für Zwangsprostitution eindeutig sind. Das wird sich in der Praxis nur im Rahmen einer Razzia erweisen, bei der nicht nur die Freier in flagranti erwischt, sondern die gebotenen Feststellungen getroffen werden können. Dann jedoch ist der Schritt zur Annahme von Vorsatz so klein, dass sich ein Systembruch nicht lohnt. Strafrecht soll Rechtsgüter schützen, nicht Beweisprobleme vermeiden.
5. Schluss Die Pönalisierung der sexuellen Ausbeutung einer Zwangslage ist somit keinesfalls zwangsläufig ein Fall symbolischer Gesetzgebung als Ergebnis moralisch geprägter Strafrechtspolitik. Die Kriminalpolitik verkommt jedoch zu einem bloßen Alibi, wenn man den Opfern nicht wirklich hilft. Wer das ernstlich will, kann sich nicht mit der Verschärfung von Strafvorschriften begnügen. So fordert etwa die bereits erwähnte Europaratskonvention Nr. 197 ein humanitäres Aufenthaltsrecht für die Opfer, wie es etwa Italien schon seit 1998 vorgemacht hat. Bei uns folgt dagegen der ersten Instrumentalisierung der Opfer durch die Zuhälter und die Freier die zweite durch den Staat: Hat ein Opfer im Strafverfahren seine Schuldigkeit als Zeugin getan, so kann es getrost nach Hause gehen – und das heißt zurück in das Elend, das es in die Zwangsprostitution getrieben hat.