„Die Würde der Frau ist antastbar – Das Geschäft boomt: Handel mit osteuropäischen Frauen“
Ort: Freising, Datum: 16.-17. Februar 2001
Aus der Einladung der Fachtagung
Jährlich werden rund 500.000 Frauen und Mädchen, oft unter falschen Versprechungen und dem Angebot einer seriösen Tätigkeit, zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung illegal in EU-Länder geschleust. Seit den Grenzöffnungen im Osten ist die Zahl kontinuierlich gestiegen, rund 90% der betroffenen Frauen sind heute Osteuropäerinnen. Der Menschenhandel mit Frauen, von der Öffentlichkeit noch viel zu wenig wahrgenommen, ist für die Täter des organisierten Verbrechens ein lukratives Geschäft: Die Schlepperbanden machen allein in Europa jährlich etwa sieben Milliarden Dollar Gewinn mit der Ausbeutung und sklavenähnlichen Behandlung von Frauen. Dem gegenüber steht ein niedriges strafrechtliches Risiko. Frauenhandel ist aber auch ein gesamtgesellschaftliches Problem, denn die Nachfrage bestimmt das Angebot. Nach Schätzungen gehen in Deutschland täglich eine Million Männer in Bordelle. Verstärkte Zusammenarbeit in Prävention, Hilfe für Betroffene, Thematisierung und Ächtung von Frauenhandel zwischen den Herkunfts- und Zielländern kann ein Ansatz zur Bekämpfung und Unterbrechung des Problemkreises sein.
2001: Die Würde der Frau ist antastbar – Versuch einer ethischen Beurteilung der Zwangsprostitution
Prof. Dr. Johannes Gründel, emeritierter Professor für Moraltheologie, München
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I. Einleitende Gedanken zur Themenstellung
Der Titel dieser öffentlichen Seminartagung ist provokativ, wenn es heißt: „Die Würde der Frau ist antastbar“. Ich sehe die Provokation darin: als Christen sind wir gewohnt zu sagen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Gemeint ist: der Mensch versteht sich auf Grund der alttestamentlichen Aussagen als Bild Gottes, als Gottes Geschöpf, auf Grund der neutestamentlichen Aussagen auch als einer, der zur „Freiheit der Kinder Gottes“ berufen ist, ja der hoffen darf auf eine Erfüllung seines Lebens in Gott – jenseits des Todes. Als Getaufter darf er sich „Kind Gottes“ nennen. Diese existentielltheologische Qualifizierung kann ihm niemand streitig machen. Darum bleibt es uns verwehrt, menschliches Leben nach äußeren Kriterien entsprechend der Börse unserer Leistungsgesellschaft zu bewerten. Doch als Abbild Gottes behält jeder Mensch – auch wenn er nicht darum weiß oder als bewusster Atheist dies nicht wahrhaben möchte – seine Würde. Das ist gemeint, wenn im allgemeinen gesagt wird: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.
Doch diese Formulierung erscheint nicht ungefährlich: Sie hebt einfach ab auf eine Behauptung, auf eine Aussage, die jenseits aller Realität steht, ja die geradezu die Gefahr in sich birgt, an der Realität vorbeizuschauen, die Augen zu verschließen und zu sagen: „Was auch immer geschieht, du behältst ja doch deine Würde“. Eine solche Aussage könnte eine Art „Beruhigungspille“ sein, die uns davor bewahrt, die Wirklichkeit, wie sie neben uns steht, auszublenden, um nicht verunsichert zu werden. Vom Apostel Paulus werden Wir aufgerufen, die Wirklichkeit wahrzunehmen, die „Zeit (Kairos) auszukaufen“ (Eph 5,16). Das aber bedeutet: Wir müssen sehen, wie die Würde des Menschen heute auf vielfache Weise gefährdet, ja mit Füßen getreten wird – und in einer besonderen radikalen Weise die Würde der Frau. Wo immer der Mensch zur Ware gemacht wird, wo ich ihn nur als Objekt werte, das mich auf meinem Wege stört und das ich darum abschieben möchte, missachte ich seine Würde. Wie sehr dies auch in einer unbedachten sprachlichen Äußerung von kirchlicher Seite geschehen kann, ist mir in der im Juni vergangenen Jahres veröffentlichten Äußerung einiger Bischöfe in Polen gegen Prostituierte, die Gläubige belästigen, bewusst geworden. Die Bischöfe haben das Innenministerium ihres Landes aufgefordert, Prostituierte von den großen Verkehrsachsen zu verbannen, da sie eine Belästigung für die Pilger auf dem Weg in die Heiligtümer des Landes seien. Das Zitat der Bischöfe lautet: „Unsere schöne polnische Landschaft wird durch das Spektakel dieser Prostituierten beschmutzt, die sich provozierend verhalten“. Die Bischöfe schlagen vor, alle ausländischen Huren und Zuhälter aus dem Land zu verweisen. Und der Innenminister sicherte der Kirche zu, sich um das Problem zu kümmern.
Hier findet nur eine „Symptombehandlung“ statt, die vor allem gerade die Schwachen und selbst in ihrer Freiheit Bedrängten betrifft, die eigentlichen Übeltäter als Ursache jedoch unbehelligt lässt. Hier wird einfach symptomatisch das als störend Empfundene zurückgedrängt, störend für das gute Gewissen der frommen Pilger – wobei zugleich die Not jener Frauen, die – wie man meint – sich provozierend verhalten, völlig übersehen wird. Sie sind aus dem Land zu verweisen.
Dass gerade auf einem frommen Pilgerweg Menschen aus einer persönlichen Notsituation, vielleicht sogar von Zuhältern unter Zwang sich als Prostituierte anbieten – um überhaupt noch ihre Existenz zu retten, dies wird völlig übersehen. Unter diesem Gesichtspunkt möchte ich nur einige Aspekte zum Thema der antastbaren Würde der Frau aufzeigen und einen Versuch einer ethischen Beurteilung der Zwangsprostitution vornehmen.
II. Personwürde der Frau, Begründung und Reichweite
Heute erscheint es erforderlich, angesichts des kulturellen Wandels, aber auch eines Wandels moraltheologischer Vorstellungen und Traditionen – ich denke etwa an das Verständnis gleichgeschlechtlicher Orientierung und Lebensform –, die Frage der individuellen Personwürde und der Persönlichkeitsrechte des Menschen aus ethischer Sicht neu aufzugreifen. Es wäre zu wenig, wollte man nur auf einzelne Bibelverse zurückgreifen oder auf bestimmte naturrechtliche Argumentationen, die nicht mehr plausibel erscheinen. Heute muss in einer positiven Form eine konstruktive und tragfähige Begründung dieser Personwürde vorgenommen werden – auch in Bezug auf Gleichstellung und Akzeptanz gleichgeschlechtlich orientierter Menschen. Die Personenwürde eines jeden Menschen sowie die damit gegebenen individuellen Persönlichkeitsrechte, die der Einzelne in Anspruch nehmen kann, müssen bedacht werden. Darum genügt es nicht, einfach auf ethische Normen hinzuweisen. Immanuel Kant betonte die allen Menschen in gleicher Weise zukommende Personenwürde mit dem Hinweis, dass das menschliche Sein Träger und Subjekt von Freiheit, Vernunft und Verantwortung ist. Darum ist das Menschsein aufgrund seiner Personenwürde jeder Verrechenbarkeit und jeder gradualisierenden Bewertung entzogen.
Dies liegt auch den Aussagen der hebräischen Bibel zugrunde, die menschlichem Leben das Attribut der Gottebenbildlichkeit zuerkennen – im Unterschied zu altorientalischen oder hellenistischen Belegen, die die Bezeichnung „Gottes Ebenbild“ nur besonders hervorgehobenen Menschen zusprechen – etwa dem Pharao oder einem König oder einem Heroen. In Gen 1,27f wird das Prädikat der Würde der menschlichen Person universalisiert und von keinerlei Eigenschaften, auch nicht vom sozialen Stand oder Geschlecht – Mann oder Frau – oder von sonstigen anderen Bedingungen abhängig gemacht. Immanuel Kant hat dies im Horizont neuzeitlicher Philosophie neu formuliert. Im Grundgesetz der BRD wird in Art. 1 die unantastbare Personenwürde jedes Einzelnen rechtlich und ethisch als eine Fundamentalnorm festgehalten. Dieser Begriff umfasst die ganze Person, ihre geistig-leibliche Einheit, ihre individuelle Identität und Integrität sowie den rechtmäßigen Anspruch jedes Einzelnenauf Freiheit und Selbstbestimmung.
Dies ist ethisch relevant (etwa auch für die gleichgeschlechtliche Orientierung zu beachten!). Für die menschliche Sexualität ist die Grundorientierung als eigenständige Disposition dem Menschen zugewiesen. Bei einer im Einzelfall vorliegenden konstitutionellen gleichgeschlechtlichen Ausrichtung oder dauernden Orientierung kommt diesen Menschen die Aufgabe zu, diese ihre Grundausrichtung anzunehmen, sich mit ihr auch zu identifizieren und dann mögliche Verhaltensweisen in verantwortungsbewusster Weise für ein Leben auf dieser Basis zu finden.
Natürlich wird die einzelne Person nicht durch ihre Sexualität allein „bestimmt“ – eine Reduktion auf die sexuelle Orientierung wird dem Menschen als ganzen nicht gerecht, wenn man sie als Basis dafür nimmt, ob dem Menschen eine Personwürde zukommt oder nicht. Sie ist allerdings auch nicht von seiner Identität, also von der individuellen personalen ganzheitlichen Identität eines Menschen abtrennbar. Allen Menschen bleibt darum die humane Gestaltung ihrer natural vorgegebenen Wirklichkeit aufgetragen. Insofern verdient die ganzheitliche personale Identität eines jeden Menschen grundsätzlich Achtung; sie kommt ihm als Aufgabe zu und steht unter dem Schutz der Menschenwürde. Darum dürfen Menschen aufgrund ihres Geschlechtes, aber auch aufgrund einer etwa andersartigen Orientierung (etwa bisexuell oder gleichgeschlechtlich) nicht minderbewertet, als Außenseiter angesehen oder gar diskriminiert werden. Um so schlimmer, wenn ihnen dieser Weg im Rahmen einer Zwangsprostitution versperrt wird.
Diese Überlegungen sind auch mit der Norm der Personwürde zu verbinden und in die grundsätzlichen Wertungen mit einzubeziehen. (vgl. hierzu die Aussagen von U. Rauchfleisch, Schwule, Lesben, Bisexuelle, 1996 2. Aufl. S. 38). Daraus ergibt sich als Schlussfolgerung, dass entsprechend der vorliegenden Orientierung jedem Menschen konkret eine Lebensführung und Lebensgestaltung zuzugestehen ist, die auch seiner entsprechenden Veranlagung entspricht und die seinem Personsein im Sinne der gegebenen Möglichkeiten einer humanen Gestaltung seiner Beziehungen zukommt.
Ein bedeutsames Persönlichkeitsrecht ist nun die Freiheit des Gewissens. Als Grundrecht schützt sie nicht nur die innere Überzeugung eines jeden, sondern auch das darauf gründende äußere Verhalten, soweit es nicht die Rechte und auch die Würde anderer Menschen verletzt. Im Zusammenhang damit gibt es heute im medizinethischen Bereich den „informed consent“, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und auch etwa ein Recht auf Nichtwissen um das eigene Genom. – Gerade auf diesem Hintergrund wird deutlich, wie wichtig heute das Recht der Eigenentvorscheidung in unserer Gesellschaft gewertet wird und wie um so schwerwiegender eine Missachtung, ja gezielte Verhinderung dieser Entscheidung zu werten und strafrechtlich zu ahnden wäre. Die Aussage, dass jeder Mensch von Gott zum Bild seines eigenen Wesens gemacht wurde, dass damit auch das Leben eines jeden Menschen zu etwas gut ist und einen unverlierbaren Sinn besitzt, dass also seine Personwürde von vornherein unverlierbar ist und endgültig besteht, dies ist zunächst eine theologisch begründete Zusage, ein Versprechen, das wir für uns selber hören müssen und auch jenen Menschen, die ihre Selbstachtung womöglich verloren haben, zusprechen sollten in der Weise: „Dein Leben ist zu etwas gut, du bist von Gott gewollt, bist in seinen Augen einmalig, dein vergängliches Leben soll einmal in eine Unvergänglichkeit einmünden“.
Zugleich liegt darin ein hoher Anspruch in doppelter Hinsicht: a) Sei dir der Einmaligkeit der Würde deines Lebens bewusst – auch wenn es dir unglaublich vorkommen mag; b) dir kommt eine Aufgabe zu, die dir niemand abnehmen kann, die du – vielleicht unter Mithilfe anderer – aber letztlich doch selbst – vollziehen musst: nämlich dein Leben neu zu gestalten: ergreife diese Aufgabe, lebe nicht unter deinem Niveau!
Gleichzeitig müssen wir feststellen, wie weit die Realität von dieser Zusage abweicht, wie allüberall die Menschenwürde mit Füßen getreten wird – angefangen von den Straßenkindern in den Slums der Dritten Welt bis hin zu denen, die aus der Heimat vertrieben wurden, die unter Gewalt anderer Menschen stehen, denen das, was sie aufbauen wollten, genommen wurde oder die in Not geraten sind und in einer ausweglosen Situation zu leben scheinen. Wir dürfen einerseits die moderne Welt nicht verteufeln, wir müssen aber umso schärfer eine Diagnose vornehmen und fragen, was dient der Würde des Menschen, was zerstört sie. Wenn Andersdenkende, bewusste Atheisten, wenn ungläubige Menschen sich oft ihrer persönlichen Würde bewusst sind und sich um ein verantwortliches Leben bemühen, sind sie unsere Verbündeten.
Im alttestamentlichen Buch der Weisheit findet sich der Satz: „Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen und ihn zum Bild seines eigenen Wesens gemacht“ (Weisheit 2,23). Jener unbekannte Jude, der das Buch der Weisheit geschrieben hat, verteufelt nicht die irdische Wirklichkeit. Gerade das Alte Testament ist einerseits ein Buch voller Lebensbejahung und Lebensfreude, lehnt aber die oberflächliche Auffassung, im Genießen der Welt erschöpfe sich schon der Sinn unseres Lebens, ab. Der Mensch ist nicht allein für das Genießen da, sondern für die Ewigkeit geschaffen. Dieser Text des Buches der Weisheit stammt von einem alexandrinischen gläubigen Juden. Alexandrien war im 2. Jahrhundert v. Chr. Mittelpunkt der gebildeten Welt, man könnte sagen, das „Oxford des Altertums“. Seine beiden Bibliotheken waren berühmt. Ein Drittel der Bevölkerung zählte zur jüdischen Gemeinde. Der Verfasser des Buches der Weisheit hat sehr gut wahrgenommen, wie man in dieser gelehrten Stadt über das Leben dachte – er wundert sich geradezu, dass Menschen so oberflächlich dahinleben können und ganz vergessen haben, wer sie sind. Darum geht dem Text von Weisheit 2,23 (Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen) voraus ein ganz anderer Text, in dem das Treiben der Frevler umschrieben wird (1,16- 2,24). So heißt es darin: „Lasst uns die Güter des Lebens genießen und die Schöpfung auskosten, wie es der Jugend zusteht. Erlesener Wein und Salböl sollen uns reichlich fließen, keine Blume des Frühlings darf uns entgehen. Bekränzen wir uns mit Rosen, ehe sie verwelken, keine Wiese bleibe unberührt von unserem ausgelassenen Treiben. Überall wollen wir Zeichen der Fröhlichkeit zurücklassen; das ist unser Anteil, das fällt uns zu. Lasst uns den Gerechten unterdrücken, der in Armut lebt, die Witwe nicht schonen und das graue Haar des betagten Greises nicht scheuen. Unsere Stärke soll bestimmen, was Gerechtigkeit ist; denn das Schwache erweist sich als unnütz. Lasst uns dem Gerechten auflauern! Er ist uns unbequem und steht unserem Tun im Weg.“ (2,6-12).
III. Die Würde der Frau und ihre besondere Gefährdung Sicherlich hat Prof. Julian Nida-Rühmelin recht, wenn er sagt, dass das Klonen von Menschen die Menschenwürde bedroht. Doch ist ihm nicht darin Recht zu geben, dass die Menschenwürde von der Selbstachtung des Menschen abhängt. Der ZdK-Präsident Prof. Meyer bemerkt hierzu, dass ja die Selbstachtung des Menschen ein höchst subjektives Kriterium ist und unterschiedlich gedeutet werden kann, vor allem dass sie bei dem noch nicht geborenen, aber schon gezeugten Menschen und auch beim Neugeborenen als solchem noch gar nicht gegeben sein kann. Gerade weil heute gern eine verkürzte vordergründige Sicht von Moral sich breit macht und nur das als unmoralisch gewertet wird, was unter Strafe verboten wird, erscheint es wichtig, zunächst die dem Menschen grundsätzlich zukommende Würde zu unterstreichen. Diese Menschenwürde ist ein so hoher Wert, dass der unbedingte Schutz des menschlichen Lebens als unabdingbare Voraussetzung gefordert werden muss, ebenso der Schutz der dem Menschen zukommenden Freiheit. Nun erscheint es geradezu als Konsequenz der vielfältig tatsächlich vorliegenden Missachtung menschlicher Freiheit und menschlichen Lebens, dass schließlich auch menschliche Embryonen und das Klonen von Menschen unter Umständen hingenommen wird.
Nun sind gerade die Frauen diejenigen, die – ob im Rahmen einer Empfängnisregelung, in der Schwangerschaft – zur Verantwortung und zum Schutz des ungeborenen Lebens aufgerufen werden – verständlich, weil sie ja unmittelbare Trägerin dieses Lebens sind. Übersehen aber wird, inwieweit eben doch ihre Partner, Männer, die eigentlichen Verantwortlichen oder doch zumindest Mitverantwortlichen sind und sich hier ihrer Verantwortung entziehen, die Frauen allein lassen. – Es wäre interessant, in diesem Zusammenhang auch einmal zu berücksichtigen, inwieweit die christlich-abendländische Moral durch eine sehr ungleich geartete geschlechtsspezifische Moral Frauen weit mehr zulastete und ihnen zukommende Rechte langen Zeit vorenthalten hat (besonders im Bereich der Sexualität).
IV. Zur Prostitution als solcher 1. Prostitution im christlichen Abendland
In der tradierten Stellungnahme im alten Israel war Prostitution nur für verheiratete Ehefrauen verboten, ansonsten durchaus üblich (Gen 38,15-23). Dennoch wurde sie verachtet. Jüdischen Vätern wurde verboten, ihre Töchter der Prostitution zuzuführen (3 Mos 19,29). Priestern war es verboten, Prostituierte zu heiraten. Die Kultprostitution wurde wegen der Verbindung mit dem Götzendienst streng verurteilt. Sie erscheint als Untreue gegenüber Gott. In der nachexilischen Zeit wird Prostitution nicht mehr geduldet, gewerbliche Prostitution verboten (so in der Halacha).
Im Gleichnis vom verlorenen Sohn im Neuen Testament verprasst dieser sein Leben mit Dirnen (Lk 15,30). Auch Paulus warnt die Glieder Christi, sich zu Gliedern einer Dirne zu machen (1 Kor 6,15ff). Aber gerade Jesus wendet sich den verachteten Prostituierten zu, erbarmt sich ihrer (Lk 10,36-50) und warnt vor der Verurteilung der Ehebrecherin (vgl. Jo 8,1-11 – sowie die Begegnung mit der Frau am Jakobsbrunnen Jo 4,1-42). In Mt 21,31 sagt Jesus zu den Hohen Priestern und Ältesten des Volkes: „Wahrlich, das sage ich euch: Zöllner und Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr“. Erstaunlicherweise wurde die unbekannte Sünderin von Lk 7,36 mit Maria Magdalena und mit Maria von Magdala verwechselt. Die Kirche hat seither zwar die Prostitution als nicht vereinbar mit der Menschenwürde angesehen, den Prostituierten aber stets Liebe zukommen lassen – zumindest nach dem Beispiel der Bibel. Sie hat aber oftmals den Betroffenen nicht das richtige Verständnis geschenkt.
Die Kirche sah jedoch im Verlauf der abendländischen Geschichte die Prostituierten nicht als endgültig ehrlos an (im Unterschied zur griechischen und römisch-rechtlichen Sicht). Viele ihrer besten Frauen und Männer haben sich heroisch für die Hilfe für Prostituierte und für ihre Resozialisierung eingesetzt – wenngleich nicht immer mit angemessenen Methoden. Die Beschreibung der Kirche als eine casta meretrix (keusche Dirne), wie sie Ambrosius von Mailand vornimmt, ist bezeichnend: eine keusche Ehebrecherin. Zahlreiche Bemühungen, die Prostituierten zu einem bürgerlichen Leben, auch zur Ehe oder gar zu einem mehr oder weniger strengen Büßerleben zu bewegen, sind in der Kirchengeschichte verzeichnet.
Wir können feststellen, dass in der patriarchalen christlichen Tradition, in der eine legalistische Tendenz, besonders im Bereich der Sexualethik vorherrschte, eine Bekämpfung der Prostitution meistens nur durch Diskriminierung von Prostituierten vorgenommen wurde, wenngleich diese sich kaum freiwillig, sondern aus einer wirtschaftlichen Notlage heraus für eine solche Tätigkeit zur Verfügung stellten. Wir haben leider bis ins 19. Jahrhundert hinein keine Zeugnisse dafür, dass sich Vertreter der Kirche gegen eine unrechtmäßige Diskriminierung der armen Prostituierten eingesetzt haben. Sie waren ja Opfer der Zeitverhältnisse oder von Ungerechtigkeiten. Doch gibt es zahlreiche Zeugnisse dafür, dass sich Theologen für eine staatliche Duldung und Ordnung der Prostitution einsetzten. Dass dabei mehr Symptombekämpfung stattfand und die eigentlichen Ursachen derselben in fragwürdigen Abhängigkeiten oder in den bestehenden schlechten ökonomischen und sozialen Verhältnissen lagen, wurde nicht gesehen. Augustinus lehnte zwar die Prostitution ab mit der Bemerkung, in der himmlischen Stadt sei dafür kein Platz; andererseits stellte er aber fest, dass in der civitas terrestris die Prostitution im Interesse der Verhinderung der Ausweitung der Unzucht und der öffentlichen Sicherheit der ehrbaren Frauen toleriert werde. „Wenn du die Dirnen vertreibst, werden die Leidenschaften alles verwirren“ (Ord. II, IV, 12). Außerdem beurteilte er diese Sünden als „praeter naturam“, d. h. nicht gegen, sondern gemäß der Natur; sie gelten weniger schwer als die Sünden „contra naturam“; seiner Meinung nach sei die Monogamie als eine erst später gegebene Anordnung für Christen anzusehen.
Thomas von Aquin übernahm diese Position mit der Bemerkung, dass nur so den Übeln der Geilheit zahlreicher unverheirateter Männer und der Lüsternheit der Frauen begegnet werden könne. Hinter dieser Bemerkung stand auch die weit verbreitete Vorstellung, dass eine unzureichende sexuelle Betätigung des Mannes gesundheitlich schädlich sein könne. Weibliche Verführungskünste würden besonders verfangen, wenn Männern nicht die Gelegenheit geboten würde, im Bordell ihre Triebe abzureagieren und damit ihre sexuelle Energie und Ansprechbarkeit zu dämpfen.
Auf diesem Hintergrund wird verständlich, dass seit dem 13. Jahrhundert aus Angst vor schlechtem Vorbild und Einfluss der Prostituierten es dazu kam, dass zur Entwicklung der mittelalterlichen Städte allenthalben Bordelle als sog. Frauenhäuser eingerichtet wurden. Sie waren meist in städtischem Besitz und wurden streng reglementiert, um Auswüchse zu vermeiden. Gewalttätigkeiten und sonstigen Übeln für die Bevölkerung sollte damit begegnet werden, zugleich aber auch dem erforderlichen wirtschaftlichen und sozialen Schutz der Prostituierten. Die Frauenhäuser waren in diesem Sinne eine ordnungspolitische Maßnahme zur Durchsetzung strenger sexueller Normen. Männer aller Gesellschaftsschichten besuchten mehr oder minder regelmäßig diese Häuser, waren sie doch verbunden mit geselligem Treiben bei Trank, Musik und Gesang und verbunden mit Glücksspielen (die allerdings verboten waren). Selbst die Juden in ihren Ghettos duldeten Prostituierte. Im gesamten Mittelalter wurden die Prostituierten als Sünderinnen, nicht aber als Kriminelle angesehen. Sie galten durchaus als fähig, in den Kreis der Gläubigen zurückzukehren.
Es gibt Bemühungen, kirchlicherseits die Ausgrenzung von Prostituierten zu verhindern. So verhieß Papst Innozenz IH. im Jahre 1198 jedem Christen, der eine „öffentliche Frau“ aus einem Bordell zur Ehe nahm, einen Ablass der Sünden. Auch seit dem 15. Jahrhundert gab es Bemühungen privater und öffentlicher Art, Prostituierten die Ehe und damit den Ausstieg aus dem Gewerbe zu erleichtern. Ehefrauen aber war die Prostitution verboten. 1227 wurde der Magdalenenorden gegründet zur Aufnahme von öffentlichen Sünderinnen. Er entwickelte sich aber mehr zu einer Bewahranstalt für Töchter aus adligen und wohlhabenden Familien. Gerade an diese geschichtlichen Bemühungen könnte die heutige Sorge für jene Menschen, die der Prostitution nachgehen, anknüpfen.
2. Zwangsprostitution
Doch ist ja damit im hier anzugehenden neuzeitlichen Problem ein Menschenhandel verbunden, der in diesem Ausmaß wohl seines gleich kaum kennt. Natürlich wird ein solcher Handel auch durch die Nachfrage und die Zahlungsbereitschaft so mancher Männer gefördert. Was aber bedeutend schlimmer ist, dass der sich hierbei vollziehende Handel mit Frauen offensichtlich unter der Hand mehr oder weniger hingenommen wird, unkontrolliert, ja sogar in den vornehmsten Hotels, wo Politiker und namhafte Wirtschaftler verkehren, stillschweigend toleriert, ja durch die Inanspruchnahme mit gefördert wird. – Es klingt geradezu lächerlich, wenn staatlicherseits bei jeder uneidlichen Falschaussage eine gerichtliche Klärung und strafrechtliche Verfolgung angegangen wird, gegenüber diesen Verbrechen des Menschenhandels aber die Augen geschlossen werden. Hier geht es nun nicht nur um ein sexualethisches Problem der Bewertung der Prostitution, sondern des weitaus gewichtigeren der Freiheitsberaubung und einer modernen Form von Sklaverei – schlimmer als zu früheren Zeiten. Interessanterweise wurde eine rigorosere Position der Verurteilung der Prostitution gefördert durch die Verbreitung reformatorischen Gedankengutes in der Neuzeit. Man glaubte, mit der Abschaffung des Zölibats bei Geistlichen in den Kirchen der Reformation eine Bordelle und die Vertreibung der Prostituierten. Grund waren die zahlreichen Geschlechtskrankheiten. Dass dabei aber auch neue Unfreiheiten, Menschenhandel und dergleichen geschehen, wurde damaligen Zeiten nicht bewusst.
V. Solidarität mit Frauen in Not
Aus individualethischer Sicht ist die Prostitution abzulehnen, danach Überzeugung der christlichen Sexualethik die menschliche Geschlechtsgemeinschaft nur dann sittlich zu rechtfertigen ist, wenn sie unter einer entsprechenden Berücksichtigung des Sinnes und Zweckes der menschlichen Sexualität in einer personalen und umfassenden Weise die Verantwortung für den Partner und für die Folgen dieses Zusammenlebens übernimmt. Sie sollte Ausdruck einer wechselseitigen Zuwendung der Partner füreinander in ganzheitlicher Partnerschaft sein in Liebe und Gerechtigkeit.
Im Verlauf der Geschichte wurde allerdings dieses Verständnis mit unterschiedlichen Akzentsetzungen begründet. In der Prostitution findet eine funktionale sexuelle Betätigung vorübergehender Art gegen Bezahlung statt. Die Auswirkungen für die Prostituierten und ihre Freier sind negativ. Dies wird für die betroffenen Frauen potenziert in dem Augenblick, wo sie zwangsmäßig zu diesem Tun gezwungen werden bzw. in eine Situation gebracht werden, wo ihre eigentliche Freiheit – die Voraussetzung für die Verantwortung ist – nicht gegeben ist. Jene Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden oder die dieser Tätigkeit langfristig nachgehen müssen – etwa aus einem wirtschaftlichen Zwang heraus – sind am schlimmsten dran. Hier müssen von Seiten des Staates durch rechtliche und strafrechtliche ‚Regelungen diese menschenverachtenden kriminellen Verhaltensweisen geahndet werden.